Ob das Anti-Rechts-Festival „Jamel rockt den Förster“ im Neonazi-Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden kann, hängt von einem unscheinbaren Stück Wiese ab. Über dessen Verpachtung entscheidet jedes Jahr neu die Gemeindevertretung Gägelow. Über ein Stück Gras, das zum Machtmittel geworden ist.
Foto: Frank Schinski

Die abschüssige Wiese neben dem alten Forsthaus dünstet Feuchtigkeit aus. Uneben und zerklüftet liegt sie da, wie ein Acker, über den ein wenig Gras gewachsen ist. Maulwurfhügel, Matsch, mausgraue Januar-Tristesse. Einige kahle Bäume und ein graues Trafohäuschen verlieren sich in der Landschaft, eine Insel aus Brombeerbüschen wuchert vor sich hin. Die Wiese am Rande des Zehn-Häuser-Dorfes Jamel sieht aus wie unzählige andere auch. Aber ihre Bedeutung ist einzigartig.

Keine 40 Menschen leben in dem kleinen Sackgassen-Dorf in Nordwestmecklenburg, das über nur eine einzige geteerte Verbindungsstraße erreichbar ist. Jamel gehört zu der 2.600-Einwohner*innen-Gemeinde Gägelow kurz vor Wismar. Dass der Name Jamel vergleichsweise vielen Menschen ein Begriff ist, liegt daran, dass seit Jahren über das „nationalsozialistische Musterdorf“ berichtet wird, in dem bekennende Rechtsextreme Grundstücke und Häuser aufgekauft und den Ort zur „national befreiten Zone“ ausgerufen haben. Im Zentrum des Dorfs, das hauptsächlich aus einem kreisrunden Wendeplatz besteht, lebt der Neonazi Sven Krüger – Abrissunternehmer, früherer Vorstand im NPD-Landesverband sowie ehemaliges Führungsmitglied der inzwischen verbotenen Neonazi-Gruppe „Hammerskins“. 

Vermummte Schmierer

Luftlinie rund 200 Meter von Krügers Wohnsitz entfernt steht das alte Forsthaus von Jamel, ein rostroter Backsteinbau mit grün gestrichenen Sprossenfenstern. Hinter diesen Scheiben leben Birgit und Horst Lohmeyer, sie Schriftstellerin, er Musiker. Seit das Paar 2004 aus Hamburg-St. Pauli aufs Land zog, lenkt es eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit auf Jamel. Denn die Lohmeyers veranstalten seit dem Sommer 2007 jedes Jahr das Festival „Jamel rockt den Förster“ – eine ehrenamtlich organisierte, nicht-kommerzielle Musik-Polit-Protest-Feier „für Demokratie und Toleranz“. Dann stehen auf der Bühne hinter dem Forsthaus Bands und Musiker wie Deichkind, die Fantastischen Vier, Die Ärzte oder Herbert Grönemeyer – mit Blick auf Wohnhäuser mit Reichsflaggen und schwarze Geländewagen mit waffenverherrlichenden Aufklebern. Immer wieder wird das Festival bedroht und angegriffen. Von einem Baucontainer unmittelbar neben dem Festivalgelände, auf dessen Dach Dorfbewohner grölend grillen, tönt durch ein Megafon, die „faulen Fresser“ sollten endlich abhauen. 2023 verschafften sich nachts vermummte Personen Zutritt auf das Festivalgelände, die Polizei nahm sie fest. Immer wieder schmieren Unbekannte Graffitis mit verfassungsfeindlichen Symbolen auf die planenbespannten Bauzäune rund um die Festivalfläche. 

Die Wiese ist zum bestimmenden Faktor für die Zukunft des Festivals geworden. Ohne den grasbewachsenen Acker samt Trafohäuschen, der direkt an das Grundstück der Lohmeyers grenzt und der Gemeinde Gägelow gehört, kann „Jamel rockt den Förster“ nicht stattfinden – zumindest nicht als die Großveranstaltung, die es heute ist. Denn das Festival ist in den vergangenen Jahren gewachsen, es passt nicht mehr in den Forsthaus-Garten. 2007 starteten die Lohmeyers mit 30 Besucher*innen, die meisten waren Freunde und Familie – im August 2024 kamen 3.500 Menschen nach Jamel, ältere, jüngere, ­viele Familien.

 

"Ohne diese Wiese geht es nicht – aber ob wir sie nutzen dürfen, ist jedes Jahr eine Zitterpartie."

Ihr Festival gegen Rechts im rechtsextrem gesinnten ­Jamel ist also auf die Gunst der Gemeindevertretung ­Gägelow angewiesen. Auf ihre jedes Jahr neu einzuholende Genehmigung zur Verpachtung. Zu den Mitgliedern des Gremiums gehören der Neonazi Sven Krüger und ein weiteres Mitglied seiner Wählervereinigung „Heimat­liebe“. Zwei Wochen vor und nach dem Konzertwochenende braucht der gemeinnützige Trägerverein des Festivals die Fläche – als Zufahrt für Bühnentechnik und Bauzäune, als Versorgungsweg für Caterer und Infostände sowie für die behördlich vorgeschriebenen Versammlungspunkte und das Camp des inzwischen 50-köpfigen Helferteams. Ohne diese Wiese geht es nicht, aber ob der Verein sie nutzen darf, ist für Horst und Birgit Lohmeyer jedes Jahr eine Zitterpartie mit ungewissem Ausgang.

Offensichtlich will sich die Gemeinde Gägelow den Hebel nicht aus der Hand nehmen lassen. 80.000 Euro hat das Land Mecklenburg-Vorpommern, dessen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig eine der Schirmherr*innen des Festivals ist, der Gemeinde für den Kauf der
Wiese angeboten. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin Christina Wandel und die Gemeindevertretung haben einen ­Verkauf im Dezember 2024 abgelehnt, das zitierte der Norddeutsche Rundfunk aus einem durchgestochenen Protokoll der nichtöffentlichen Debatte. Auch einen ganzjährigen Pachtvertrag oder eine Zusage für die
Nutzung über mehrere Jahre habe die Gemeinde bislang abgelehnt, sagt das Ehepaar Lohmeyer. 2024 bekamen sie die Genehmigung so spät, dass es für die Logistik fast zu spät war.

Im ersten Jahr kamen 30 Besucher und Besucherinnen – inzwischen rocken in Jamel im August rund 3500 Menschen. Foto: Jamel rockt den Förster / forstrock.de

Ein Ringen im Jugendclub

Über die Verpachtung der Wiese für „Jamel rockt den Förster 2025“ berät die Gemeindevertretung an einem kalten Dienstagabend Ende Januar, in den Räumen des Jugendclubs in der Unteren Straße in Gägelow. Es ist die erste Sitzung im neuen Jahr. Ein Auto nach dem anderen rollt auf den Parkplatz vor dem zweistöckigen, hellgrauen Backsteinquader. Die Gemeindevertreter*innen eilen in einen knallgelb gestrichenen Raum mit aufgemalten Kaffeebohnen an der Wand, der eigentlich als Clubcafé dient. Die zentrale Frage heute ist: Wer ist hier für das Festival, und wer will es blockieren, offen oder unter dem Radar? 

Die Gemeindevertretung scheint so zerklüftet wie die Jameler Wiese mit ihren Stolperfallen. Fakt ist: Es gibt zwölf Mitglieder, die meisten von ihnen gehören so genannten Wählergemeinschaften an: vier der „Wählergemeinschaft WIR für die Gemeinde Gägelow“, zu der auch Bürgermeisterin Wandel zählt; zwei der Wählergemeinschaft „Aktive Bürger Gägelow“. Die dritte Wählergemeinschaft heißt „Heimatliebe“ – für sie sitzen Sven Krüger und sein Nachbar Steffen Meinecke mit am Tisch. Bleiben vier Gemeinderät*innen, die als Mitglieder einer Partei in das Gremium gewählt wurden: eine Kandidatin der CDU, ein Kandidat der SPD, zwei Mitglieder von Die Linke. Eine der beiden Linkenpolitikerinnen ist die stellvertretende Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Bildungsministerin Simone Oldenburg – sie ist seit vielen Jahren in ihrem Wohnort Gägelow kommunalpolitisch aktiv. 

Für was die so genannte „Heimatliebe“ steht, ist klar. Nicht nur Krüger, sondern auch Steffen Meinecke ist ein früherer NPD-Aktivist. Wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz und Hehlerei saß Krüger mehrfach im Gefängnis. 2019 wurde er das erste Mal in die Gemeindevertretung Gägelow gewählt. Zur Wahl hatte sich damals auch Birgit Lohmeyer gestellt, die 2018 in die SPD eingetreten war. Sie erhielt 37 Stimmen, Krüger 281. „Beklemmend, wie viele Menschen hier einen Rechtsradikalen und Verbrecher“ wählten, sagte Lohmeyer der Presse. Bei der nächsten Kommunalwahl im Sommer 2024 lief es für Krüger noch besser: Er bekam relativ die meisten aller abgegebenen Stimmen, 16 Prozent der Wähler*innen setzten ihr Kreuz für die verfassungsfeindliche „Heimatliebe“.

Foto: Frank Schinski

Den Blick nach draußen lassen sie lieber zuwachsen: Birgit und Horst Lohmeyer leben seit 20 Jahren in direkter Nachbarschaft zu Neonazis. Trotzdem ist ihnen ihr Forsthaus immer noch eine Kraftquelle.

"Öffentlichkeit erzeugt rechten Gegenwind, aber sie schützt uns auch: Man verliert uns nicht aus dem Blick."

Wer ist die undichte Stelle?

Um Punkt 19 Uhr beginnt die Sitzung. Ein Gemeinderat, Streifenpolizist von Beruf, kommt drei Minuten zu spät, was die Bürgermeisterin scharf rügt. Sie wirkt angespannt. Christina Wandel sitzt am Kopfende der zu einem L zusammengeschobenen Tische, links von ihr sitzen Sven Krüger und Steffen Meinecke, gegenüber, wie aufgereiht, die übrigen Mitglieder – niemand scheint neben der „Heimatliebe“ Platz nehmen zu wollen. Vielleicht 15 Bürger*innen lauschen dem öffentlichen Teil der Sitzung, unter ihnen ist auch Birgit Lohmeyer, die sich einen Stuhl außerhalb des Blickfelds ihrer beiden Nachbarn Krüger und Meinecke gesucht hat. Auch die Presse ist anwesend, gefilmt werden darf nicht, Mitschreiben ist erlaubt. 

Bürgermeisterin Wandel kündigt als außerordentlichen Punkt der Tagesordnung ein persönliches Statement an, als Anlass nennt sie den „Mediendruck“ der vergangenen Wochen. Dass die Gemeinde darüber nachdenkt, künftig eine Wiesen-Pacht von den Lohmeyers zu verlangen, gehört zu den Informationen, die intern bleiben sollten, aber nach draußen getragen wurden. Wandel kündigt verärgert an, die undichte Stelle im Gemeinderat ausfindig zu machen und Konsequenzen zu ziehen. 

Dann wendet sie sich direkt an Birgit Lohmeyer. Ja, man begrüße ihr Festival als ein „wirksames Statement“. Aber die Lohmeyers sollten mit ihren „Generalbeschuldigungen“ und „sinnfreien Diskussionen“ aufhören – und sich mit ihrem Verein lieber für Veranstaltungen in der Gemeinde engagieren, nicht nur für ihr eigenes Festival. „Warum wehren Sie sich gegen eine Pachtgebühr? Sie können doch stolz sein, wenn Sie mit den Einnahmen für die Kommune dazu beizutragen, die Kinder dieser Gemeinde in der Grundschule demokratisch zu erziehen“, liest Wandel aus ihrem Manuskript ab. In ihrer rund fünfminütigen Rede bezeichnet sie die Wählervereinigung „Heimatliebe“ klar und deutlich als verfassungsfeindlich. Eine halbe Stunde später votieren die Bürgermeisterin und eine Mehrheit der Gemeindevertreter*innen dafür, Geldspenden von Abriss Krüger und Hüpfburgen-Verleih Meinecke anzunehmen. 

Einer, der sich mit den Widersprüchen und Konfliktlinien in der Kommune gut auskennt, ist Daniel Trepsdorf. Er leitet das „Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg“ und berät Institutionen oder Gemeinden, die mit Aktivitäten von Rechtsextremen konfrontiert sind. Im Ehrenamt ist Trepsdorf Vorsitzender des Kulturausschusses in der Landeshauptstadt Schwerin. Angesichts der Situation in Jamel und Gägelow warnt er vor schnellen Beurteilungen von außen: „Es ist viel schwieriger, sich im ländlichen Raum für Demokratie einzusetzen als in der Anonymität der Großstadt.“ Trepsdorf kennt Horst und Birgit Lohmeyer persönlich, er schätzt ihr Engagement. Für viele in der Gegend seien sie aber auch ein Unruhefaktor. „Natürlich wissen die Leute hier um das Problem mit der starken rechten Szene. Aber viele glauben, dem nicht kurzfristig Herr werden zu können. Psychologisch gesehen kommt es dann zu Abwehrreaktionen: Nicht wenige negieren das rezente Thema Rechtsextremismus und vollziehen innerlich eine Art Täter-Opfer-Umkehr gegenüber den Lohmeyers: Warum müsst ihr immer den Finger in die Wunde legen? Würdet ihr schweigen, hätten wir doch gar kein so großes Problem.“

"Natürlich wissen die Leute um die rechte Szene hier. Aber psychologisch gesehen vollziehen sie eine Art Täter-Opfer-Umkehr."

Todeslisten der Rechten

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Trepsdorf will nichts relativieren. Aber er kennt die Bedrohungen im kommunalpolitischen Alltag, auch aus eigener Erfahrung als Lokalpolitiker der Partei Die Linke. Wer in Jamel ein- und ausgehe, wer die Lohmeyers unterstütze, werde von der rechten Szene dokumentiert. Feindes- und Todeslisten würden angefertigt, Engagierte sozial markiert und eingeschüchtert. „Es ist – nicht nur für Gemeindevertreter*innen – eine Wahnsinnsherausforderung, jeden Tag klare Kante zu zeigen“, sagt er. Außer Bildungsministerin Simone Oldenburg, die einzige Profi-Politikerin im Gägelower Gremium, hat jedes der ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder einen ganz normalen Job. Und ein Privatleben, das in der Region stattfindet – den Hüpfburgen von „Heimatliebe“-Mitglied Meinecke zum Beispiel begegnen sie bei fast jedem Dorffest. 

Neonazi Krüger gibt sich gerne als Dorfchef und Kümmerer. Und er weiß um die Wirkung von Lob. Nach der Gemeindevertretungssitzung kurz vor Weihnachten 2024 postete er auf Facebook Fotos und ließ wissen, wie stimmungsvoll das Beisammensein beim Glühwein gewesen sei. Einer seit 20 Jahren ehrenamtlich Engagierten sprach er ein „großes Dankeschön für ihren beeindruckenden Einsatz“ aus. Auch der Bürgermeisterin klopfte er verbal auf die Schulter: Sie wolle das „Beste für ihre Gemeinde erreichen, und das gefällt uns“. Im Gemeinderat wehe nun ein „ganz neuer Wind“. Daniel Trepsdorf kennt diese Strategie: „Lob aus dem Munde eines gewaltaffinen Rechtsextremisten ist ein mentaler Schraubstock – es erhöht den Druck der Gemeinderät*innen noch. Das Signal lautet: Wir vollziehen akribisch nach, was ihr tut. Das ist toxische soziale Kontrolle.“ 

An Silvester dann der Angriff

Um 20.30 Uhr ist der öffentliche Teil der Sitzung beendet, über die Festivalwiese wird nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten. Die Zuhörer*innen werden hinausgeschickt – nicht in einen der anderen Räume des Jugendclubs, sondern vor die Eingangstür, in den drei Grad kalten Abend. Sobald die Beschlüsse gefallen seien, werde man die Gäste wieder hereinholen, heißt es. Dann wird die dicke Glastür von innen abgeschlossen.

Auch Birgit Lohmeyer wartet auf das Ergebnis. Nachmittags, in ihrem Esszimmer im Forsthaus, hat sie erzählt, dass ihr der Angriff von Silvester noch in den Knochen stecke – Unbekannte hatten ihr Grundstück betreten, so Lohmeyer, und eine Silvesterrakete auf das Paar abgefeuert. Vor einigen Jahren steckten vermummte Gestalten die große Scheune des Forsthauses in Brand, die Feuerwehr konnte nur verhindern, dass die Flammen aufs Wohnhaus übergriffen. Wo die alte Scheune einmal stand, hat der Schweizer Künstler Harry Schaffer die verkohlten Balken zu einer Skulptur aufgeschichtet, er nennt sie „Pyromide“.  

„Es gab Bedrohungen, seit wir hier sind“, sagt Horst Lohmeyer, „aber die Einschüchterungsversuche sind lauter und offensiver geworden.“ Jedes Mal wird ermittelt, fassen konnte die Polizei bisher niemanden. Lohmeyer schätzt auch den erwachsenen Sohn von Sven Krüger als gefährlich ein. Wie hält man es in einer solchen Umgebung aus, seit zwei Jahrzehnten inzwischen? Durch die Sprossenfenster des alten Forsthauses sieht man die Nachbarhäuser kaum, eine rankende Grünpflanze wuchert vor dem Glas, das drinnen und draußen trennt. Es wirkt, als hätten sich die Lohmeyers in ihrem Forsthaus eine Festung geschaffen. „Wir können hier aber trotzdem vieles ausblenden. Das Haus ist immer noch ein Kraftort für uns“, sagt Birgit Lohmeyer. 

Einmal im Jahr, für zwei Tage im August, gehört die Wiese neben dem Forsthaus denen, die für Vielfalt und für Demokratie einstehen. Foto: Christiane Langrock-Kögel

Eine unsichtbare Grenze

Ihr Mann hingegen fühlt sich nicht wohl, wenn er über Nacht alleine zuhause ist. Das Paar macht nicht gemeinsam Urlaub, denn eine*r muss immer auf das Forsthaus aufpassen, aus Sorge vor Zerstörung. Als sie es Anfang der 2000er Jahre besichtigten, wussten die Lohmeyers, dass der Neonazi Sven Krüger in Jamel lebte. „Mit dem einen Nazi werden wir fertig“, dachten sie. Doch dann holte Krüger immer mehr Menschen aus seiner rechten Szene ins Dorf. Die Lohmeyers leben am Rand von Jamel, die Straße vor ihrem Haus ist eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen und dem Rest des Ortes, die sie außerhalb der Festivalzeiten nicht übertreten. Ihr Grundstück verlassen sie im Prinzip nur, wenn sie wegfahren. Was, wenn sie ihren Nachbarn doch einmal in die Arme laufen? Als Sven Krüger Birgit Lohmeyer vor Kurzem beim Einkaufen im Supermarkt erblickte, rief er laut und feixend: „Hier stinkts!“

Ignorieren, keinen Blickkontakt aufnehmen, das ist die Strategie der Lohmeyers. Und: für Öffentlichkeit sorgen. „Je mehr wir in den Medien sind, desto mehr Gegenwind bekommen wir von den Nazis.“ Aber sie empfinden die Öffentlichkeit auch als Schutz: „Man verliert uns so nicht aus dem Blick.“ Auf einem kleinen Schemel neben dem Ohrensessel im Esszimmer liegt ein schmales Plakat, „Solidarität mit Horst und Birgit Lohmeyer“ steht darauf. Unterstützer*innen haben am Wochenende zuvor einen Autorkorso nach Jamel organisiert, 110 Autos rollten durch den Ort. Über ihre Nummernschilder hatten die Teilnehmenden die kleinen Solidaritäts-Plakate geklebt – denn sicher fühlt sich hier niemand, der seine Stimme für das Festival und seine Organisator*innen erhebt.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat es mit dem Kauf der Wiese versucht, der Plan scheiterte. Die Landesregierung hat den Lohmeyers auch andere Flächen rund um Jamel für das Festival angeboten. Aber das wäre nicht dasselbe, sagen sie – „Jamel rockt den Förster“ müsse im Dorf stattfinden, in unmittelbarer Nähe zu den Nazis. Deshalb kommt ein Rückzug für sie nicht in Frage, sie können das Haus nicht verkaufen und in eine andere Gegend ziehen. „Wer würde in Jamel kaufen?“, fragt Horst Lohmeyer. „Wer will hier leben?“

Mit einem Autokorso durch Jamel solidarisierte sich ein lokales Bündnis mit den Lohmeyers. Die Nummernschilder versteckte es hinter diesen Plakaten. Foto: Frank Schinski
Eine der Schirmherr*innen von „Jamel rockt den Förster“ ist Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin, die SPD-­Politikerin Manuela Schwesig. Foto: Jamel rockt den Förster / forstrock.de

Zehn Ja, zwei Nein

Nach anderthalb eisigen Stunden vor dem Jugendclub werden die Wartenden wieder hereingelassen. Der ­Gemeinderat, der die Tür aufschließt, murmelt eine ­Entschuldigung. Im Sitzungssaal schauen viele der ­Gemeinderatsmitglieder auf ihre Sitzungsvorlagen. Die Bürgermeisterin verkündet die Beschlüsse. Herr Krüger habe über das Aus für das Festival diskutieren wollen, das habe sie beendet. Mit zehn Ja und zwei Nein habe der Gemeinderat für eine Verpachtung der Gemeindefläche an den Verein gestimmt. Aber: Einen Euro pro Quadratmeter soll der gemeinnützige Festivalverein dafür bezahlen, minus 30 Prozent Rabatt. Das bedeutet, dass für vier Wochen Wiesennutzung mehr als 10.000 Euro fällig werden.

Dann ist Schluss, die Sitzung beendet. Der Norddeutsche Rundfunk fragt vergeblich nach Interviews. Bildungsministerin Oldenburg wirft im Hinausgehen über die Schulter, dass sie in der namentlichen Abstimmung für eine unentgeltliche Verpachtung votiert habe. ­Draußen, zurück in der kalten Nacht, stellt sich Birgit Lohmeyer vor die Kamera. Sie sagt, sie habe nicht mit einem so deutlichen Votum für eine derart hohe ­Nutzungsgebühr gerechnet. „Die rechte Szene spinnt ihre Fäden überall und versucht Einfluss auf Kultur­programme und Initiativen wie uns zu nehmen. Wir ­müssen alle dagegen ansteuern.“

Die Bedrohung, direkt nebenan

Während seine Nachbarin das sagt, filmt Sven Krüger die Szene aus dem Hintergrund mit seinem Handy, vielleicht für einen weiteren Post über „die beiden Künstler, die sich selbst beweihräuchern“, die „auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung absurde Forderungen“ stellten und zurück nach Hamburg verschwinden sollten, wie er einmal schrieb. In seinem schwarzen Pickup fährt Krüger dann betont langsam vom Hof.

Kurz darauf steigt auch Birgit Lohmeyer in ihr Auto. Auch sie fährt zurück nach Jamel. Zehn Minuten später wird sie wieder zuhause sein. Dort, wo Menschen wie Sven Krüger gleich nebenan wohnen.

 

Epilog

Drei Tage vor der Gemeinderatssitzung – das wird erst zwei Wochen später öffentlich – hat Sven Krüger auf Facebook ein Video geteilt, in dem sieben schwarzgekleidete, vermummte Männer eine Stoffbahn bemalen: „Unser Dorf, unsere Regeln“. Mit zwei Vorschlaghammern bewaffnet posieren sie am Ortsschild Jamel neben einem handgeschriebenen Plakat. „Letzte Warnung“, steht darauf. Die Polizei ermittelt wieder. 

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