In der Region um die Kleinstadt Malchin schwelt ein Konflikt über die zukünftige Nutzung einer degradierten Moorlandschaft. David Schacht, Gründer des Vereins „Wasserwerk der Zukunft“, hat ein innovatives Format entwickelt, das den Konflikt lösen könnte. Die Idee klingt simpel: Vertrauen aufbauen und alle Beteiligten zum Spaziergang verabreden.

Was passiert, wenn eine Gruppe Menschen durch die Landschaft geht, vorbei an Wiesen und Feldern, an der Ostpeene entlang und durch das nahegelegene Niedermoor? Sie kommen ins Gespräch, klar. Doch was entwickelt sich darüber hinaus, wenn die Menschen diese Landschaft genau kennen, wenn sie in und mit ihr leben, sie auf unterschiedliche Weise nutzen und – in dieser Geschichte von großer Bedeutung – deshalb unterschiedliche Interessen verfolgen? Was macht es mit Menschen, die von der Nutzung der Landschaft leben – und mit Menschen, die sie als Ökosystem schützen wollen?

Die Antwort auf diese Fragen ist noch nicht endgültig geklärt, aber es gibt klare Hinweise. Sie liegen in Form von bunten Karten, handschriftlich beschrieben, auf den zusammengeschobenen Tischen im Großen Sitzungssaal des Malchiner Rathauses. Es ist Nachmittag, draußen hängt das typische Januar-Grau über Malchin, einer Kleinstadt zwischen Rostock im Norden und der Mecklenburger Seenplatte im Süden. Drinnen knarzt der Holzfußboden, während David Schacht nachdenklich durch den prachtvollen Raum schlendert. Das Gasthaus ist geschlossen, deshalb hat er kurzerhand den Rathaussaal organisiert – Schacht hat einen guten Draht zum Bürgermeister. Er legt weitere Karten auf den Tisch, spricht über das Potenzial, Konflikte zu lösen, über die Bühne, die den Teilnehmenden geboten werde, über ein wachsendes Verständnis für die verschiedenen Positionen. Und über erhöhte Kompromissbereitschaft. Dann schaut er in die Runde. Die Nächste, bitte.

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Wasserwerk mit Zukunft

Die Landschaftsspaziergänge sind das zentrale Element eines Projekts, dessen Initiator David Schacht ist. Hauptberuflich ist der 43-Jährige Bauingenieur seit 2020 Geschäftsführer des WasserZweckVerbands Malchin-Stavenhagen. Kurz nach seinem Amtsantritt kam die Frage auf, was mit dem alten Wasserwerk geschehen solle. Das imposante, denkmalgeschützte Gebäude am südlichen Ortseingang, gleich hinter dem Stadion, ist seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb, sollte aber unbedingt erhalten bleiben. Dann kam Schacht – und hatte eine Idee.

„Hier entsteht das Wasserwerk der Zukunft“, sagt er an diesem Nachmittag, knapp drei Jahre später, und schaut sich in den alten Mauern um, als sei er gerade zum ersten Mal hier. Schacht steht in einem Raum von beeindruckender Größe, Rundbogenfenster an drei Seiten; und dort, wo bis vor kurzem noch drei 5000-Liter-Tanks standen, erhebt sich nun eine kleine Empore. Bauschutt und von den Wänden abgeschlagene Fliesen liegen auf dem Boden. Seit zweieinhalb Jahren wird das 1903 erbaute Wasserwerk restauriert, im Mai 2023 soll es wieder eröffnen. Als öffentlicher Raum, als Ort der Bildung, der Kooperation und des Engagements. Mit dem Verein Wasserwerk der Zukunft will Schacht hier neue Wege im Umgang mit Wasser- und Umweltschutz beschreiten.

David Schacht baut das Wasserwerk der Zukunft – und führt gesellschaftlich relevante Akteure auf Landschaftsspaziergängen zusammen.

Bühne für den Grundwasserschutz

„Man muss es sich vorstellen können“, sagt er. Mit ausladenden Armbewegungen stellt er seine Vision auf die Empore: „Hier kommt ein transportables Wasserlabor hin!“ Eine Lernlandschaft soll entstehen, ein außerschulischer Wissensort, der die Bedeutung der Ressource Wasser erklärt. „Das alte Wasserwerk wird unsere Bühne für den Grundwasserschutz“, sagt Uta Berghöfer. An der Südseite des Gebäudes wird ein buntes, kunstvoll gestaltetes Fenster eingebaut, das niemand übersehen kann, der von Süden kommend nach Malchin fährt. Es sollen Theateraufführungen und Veranstaltungen stattfinden. Die Verbindung von Kunst, Kultur und Bildung war nicht nur Berghöfers Idee, es ist so etwas wie ihr Steckenpferd. Sie hat das mobile Landschaftsheater „Moortheater“ ins Leben gerufen und betreibt im Sommer den „Moorbauer“, eine kleine Gaststätte am Kummerower See, die nur mit dem Boot zu erreichen ist.

Visionen entwickeln, Zukunft gestalten: Uta Berghöfer und Tobias Keye unterstützen das Projekt Wasserwerk der Zukunft.

Die ersten Früchte

Anfang 2021 kam der erste Kontakt zwischen David Schacht und Uta Berghöfer zustande, im Dezember desselben Jahres gründeten sie den Verein. „Uta ist die treibende Kraft“, sagt Schacht. „Sie versteht, wie sich Kultur und Wissensvermittlung gemeinsam umsetzen lassen.“ Schacht dagegen hat ein gewichtiges Netzwerk in der Region, kennt die Leute in den Verbänden, die Landwirte. Schon bei der Gründung des Vereins „Wasserwerk der Zukunft“ waren viele der für den Grundwasserschutz relevanten Akteure dabei: die Stadt, der Bauernverband, der Wasser- und Bodenverband „Obere Peene“ – und natürlich auch Schachts Arbeitgeber, der WasserZweckVerband. Schacht muss wieder zurück ins Rathaus, er eilt schon den ganzen Tag von Termin zu Termin. Bevor ergeht, zeigt er auf dem Handy einen Artikel, den er auf der Webseite des Bauernverbands Malchin entdeckt hat; es geht darin um eine klimafreundliche Nutzung von Moorlandschaften. „Sowas hätte es bis vor wenigen Monaten nicht gegeben“, sagt er erfreut. Die unterschiedlichen Interessensvertreter*innen zum Spazieren zu schicken scheint erste Früchte zu tragen.

Das Büro von Heike Müller, Geschäftsführerin eben jenes Bauernverbands Malchin, befindet sich in einem langgezogenen, vierstöckigen Flachdachbau. Arztpraxen, eine Apotheke, gegenüber Wohngebiet. Müller serviert Cappuccino aus der Kapsel-Kaffeemaschine. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Unterlagen, Bücher, Ordner. Müller ist selbst Landwirtin und erwartungsgemäß skeptisch, was die zukünftige Nutzung der Niedermoorlandschaft angeht. „In dem Gebiet um Malchin gibt es zwei Handvoll Betriebe“, sagt sie. „Jeder ist sehr individuell zu betrachten. Jemanden, der gerade erst in einen neuen Kuhstall investiert hat, werdensie nicht so einfach davon überzeugen, seine Weideflächen aufzugeben.“ Insgesamt sähen die Landwirte aber auch, dass sich etwas ändern müsse. Das Moor sackt ab, dann die zunehmend trockenen Jahre, der gesellschaftliche Druck. „Es gibt Landwirt:innen, die das alles ignorieren – aber die meisten sehen, dass wir so nicht weiterwirtschaften können.“

Auch Müller hält die Landschaftsspaziergänge für ein gutes Format. Sie selbst war bereits zwei Mal dabei. Und auch sie glaubt daran, dass es nur eine gemeinsame Lösung für die Frage gibt, die sie und ihre Kolleg*innen am meisten umtreibt: Wie bekommt man eine tragfähige Bewirtschaftung der Flächen hin? „Ich gönne jedem seine Nische und es ist sicher gut, neue Sachen auszuprobieren“, sagt Heike Müller. „Aber von dem Traum wiedervernässter Moore können Landwirte nicht leben.“

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Der Weg der Annäherung

Da ist er wieder, der scheinbar unüberwindliche Konflikt. Wirtschaftliche Interessen auf der einen, Umweltschutz auf der anderen Seite. Einfache Antworten gibt es nicht. Das spürt auch die Gruppe im Sitzungssaal des Malchiner Rathauses. Aus ihrer Sicht ist die Aufgabe eine andere: „Wir müssen dafür sorgen, dass auch in hundert Jahren die Grundwasserqualität hoch und das Grundwasser in ausreichender Menge vorhanden ist“, sagt David Schacht. Doch sie spüren auch: Der Weg der Annäherung und des Austauschs ist der richtige. Es gibt keinen anderen. Schacht und seine Mitstreiter*innen bekommen viel Zuspruch für ihre Landschaftsspaziergänge, das Interesse an einer Teilnahme ist groß. Mittlerweile unterstützen 21 verschiedene Gruppierungen, Schulen, Umweltbildungsinstitute und Verbände das Projekt „Wasserwerk der Zukunft“. „Wir haben großes Potenzial in der Region, nicht nur landschaftlich, sondern auch was die Menschen und ihre Ideen angeht“, sagt David Schacht. „Das sind gute Voraussetzungen. Wir haben es in der Hand.“

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