Die Zukunft ist ein recht zweischneidiges Schwert. Als die Bahn im Juni diesen Jahres ankündigte, 20 Bahnstrecken mit einer Gesamtlänge von 245 Kilometern zu reaktivieren, dürfte man in den bald wieder ans Netz angeschlossenen Orten wie Barth am Darß, im brandenburgischen Beelitz und in Barby bei Magdeburg gejubelt haben. Und das zu Recht. Schließlich waren nach dem Zusammenschluss von BRD-Bundesbahn und DDR-Reichsbahn zur privatisierten Deutschen Bahn 1994 knapp 2.500 Kilometer Gleise, gut 210 Strecken, allein in Ostdeutschland stillgelegt worden – womit zigtausenden EinwohnerInnen eines ihrer wichtigsten Mobilitätsmittel genommen war. Und was für viele der sichtbare Beleg fürs Abgehängtsein im wiedervereinigten Deutschland bedeutete.
Doch der Klimawandel hat auch bei der Bahn zu einem Umdenken geführt: Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen wieder mehr Personen- und Güterzüge zurück auf die Schienen. Und so sollen die Fahrgastzahlen bis Ende dieses Jahrzehnts verdoppelt werden, der Güterverkehr soll um fünf Punkte auf 25 Prozent zulegen. „Jeder Kilometer Gleis ist aktiver Klimaschutz“, sagte Jens Bergmann, Vorstand Infrastrukturplanung und -projekte der DG Netz bei der Vorstellung der Pläne. Die Menschen erwähnte er dabei nicht.
Trotz der frohen Kunde bleiben damit weiterhin tausende Kilometer Gleise noch immer unbefahren. Und damit auch dutzende Bahnhöfe ungenutzt im Dornröschenschlaf.
Und hier kommen wir zum zweischneidigen Schwert. Denn in einige dieser alten Bahnhöfe ist das Leben zurückgekehrt. Statt schriller Pfiffe des Bahnvorstehers hört man Musik aus Boxen, statt wartender Fahrgäste sieht man Jugendliche am Billardtisch. Vereine, Kommunen, Initiativen sind in die teils über hundert Jahre alten Gebäude gezogen, um ihnen wieder eine Bedeutung zurückzugeben. Und wie damals die Fahrgäste von hieraus auf die Reise gingen, brechen hier nun Engagierte in eine neue Zeit fürs Gemeinwohl auf. Denn Reisen können schließlich auch stattfinden, wenn man Zuhause bleibt.
HALBE
Das hätte sich der alte Wilhelm sicher auch nicht vorstellen können. Der Kaiserbahnhof im brandenburgischen Halbe südlich von Berlin wurde 1865 eigens für Wilhelm I. und seine Nachfolger errichtet, um von hieraus auf die Jagd zu gehen. Lang ist’s her. Nachdem das Gebäude, eingebettet in ein kleines Gebäude-Ensemble, spätestens seit den 1990er Jahren immer weiter verfallen war und erst in den vergangenen Jahren durch einen neuseeländischen Investor denkmalgerecht saniert worden ist, machen sie hier nun Jagd auf eine neue Zeit: Der Verein Halbe Welt will den Kaiser- und den benachbarten Esperanto-Bahnhof, die noch immer von einer Regionalbahn angefahren werden, zu einem Kulturknotenpunkt machen. Im Kaiserbahnhof soll es ein Café und Ferienwohnungen geben, es sollen Veranstaltungen und Hochzeiten stattfinden. Im benachbarten Esperanto Bahnhof, ehemals das Bahnhofsempfangsgebäude, gibt es bereits Vortrags- und Seminarräume für Menschen aus aller Welt, die die internationale Sprache Esperanto lernen möchten. Der Verein Halbe Welt rahmt all die Aktivitäten mit Kultur und Kunst ein. Wenn das der Kaiser wüsste.
MEYENBURG
Ein ähnliches Schicksal wie Meyenburg hat auch Karow getroffen. Der Ort in Mecklenburg-Vorpommern war über hundert Jahre von 1887 bis in die 1990er Jahre ein bedeutender Kreuzungs- und Umsteigepunkt auf der Nord-Süd-Achse von Güstrow nach Pritzwalk und auf der West-Ost-Route von Schwerin nach Waren (Müritz). Also nicht unbedeutend. Trotzdem wurde der Personenverkehr im Mai 2015 eingestellt, zuletzt fuhren – aufgrund des massiven Drucks von Bürgerinitiativen – immerhin wenige Züge während der Saison zwischen Juni und August. Ansonsten kommt man nur noch mit einem sogenannten RUF-Bus in den Ort am Plauer See. Der weiträumige Bahnhof von 1882, seine zwei Wassertürme und weitere Gebäude stehen seitdem leer – und unter Denkmalschutz, was eine aufwändige Sanierung bedeuten würde. Eine Wiederbelebung ist nicht in Sicht. Also wenn jemand Lust hat …
KAROW
Ein ähnliches Schicksal wie Meyenburg hat auch Karow getroffen. Der Ort in Mecklenburg-Vorpommern war über hundert Jahre von 1887 bis in die 1990er Jahre ein bedeutender Kreuzungs- und Umsteigepunkt auf der Nord-Süd-Achse von Güstrow nach Pritzwalk und auf der West-Ost-Route von Schwerin nach Waren (Müritz). Also nicht unbedeutend. Trotzdem wurde der Personenverkehr im Mai 2015 eingestellt, zuletzt fuhren – aufgrund des massiven Drucks von Bürgerinitiativen – immerhin wenige Züge während der Saison zwischen Juni und August. Ansonsten kommt man nur noch mit einem sogenannten RUF-Bus in den Ort am Plauer See. Der weiträumige Bahnhof von 1882, seine zwei Wassertürme und weitere Gebäude stehen seitdem leer – und unter Denkmalschutz, was eine aufwändige Sanierung bedeuten würde. Eine Wiederbelebung ist nicht in Sicht. Also wenn jemand Lust hat …
RÖBLINGEN AM SEE
„Unser Bahnhof ist für einige Menschen eine wichtige Station auf ihrem Lebensweg.“ So umreißt es Amanda Dählmann, wenn sie über ihr Projekt „Lebensraum Röblingen“ erzählt, einer 3000-EinohnerInnen-Stadt westlich von Halle in Sachsen-Anhalt. Und wer sich in dem 150 Jahre alten, etwas schmucklosen Gebäude umsieht, muss ihr Recht geben. In nur drei Jahren haben die Mutter dreier Kinder und andere Engagierte einen Ort der Begegnungen geschaffen: ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt für 15 Menschen, Ferienwohnungen, ein Biogarten, ein Coworking-Space, ein Verschenkeladen – und natürlich viele Kultur-Veranstaltungen für die EinwohnerInnen und Gäste. Das Zusammenleben sei „undogmatisch“, sagt Amanda Dählmann. Und das ist wichtig: Schließlich habe es viele Ressentiments der Einheimischen gegeben, gespeist aus Wendefrust und Perspektivlosigkeit. Mittlerweile ist der noch immer in Betrieb befindliche Bahnhof aber ein Treffpunkt für alle, der bereits sogar zwei Ableger vor Ort hat. Die „Lebensweg-Stationen“ werden mehr.
GÜSOW
In Güsen zwischen Brandenburg an der Havel und Magdeburg hält nur noch der RE1. Immerhin. Der Verein bahnhof17 – benannt in Anlehnung an die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen – hat hier im ehemaligen Kleinbahnhof einen Ort des Aufbruchs etabliert: Im Gründungslabor werden neue Ideen und Unternehmungen aufs Gleis gebracht, an denen man im Coworking Space gleich arbeiten kann. Wie zum Beispiel am Netzwerkgeld, das als komplementäre Währung in der Region für einen eigenen Wirtschaftskreislauf genutzt wird, und von der Drosos-Stiftung unterstützt worden ist. Daneben gibt es Wohnzimmerkonzerte, Clubkino, Integrationsprojekte für Kinder mit Migrationserfahrung, eine Werkstadt. Ganz nach ihrem Motto: „Im bahnhof17 geht es auf die Reise, um Möglichkeiten zu entdecken.“ Doch das ist nicht alles: Der Förderverein BürgerBahnhof Güsen kümmert sich um den Erhalt des Bauwerks und die Aufarbeitung historischer Eisenbahnfahrzeuge wie die V10b von 1962 aus Babelsberg, die es auf 30 km/h schafft. Mit ihr sollen künftig wieder Fahrten für TouristInnen möglich sein.