Bärbel Kemper

Die Fichte haben wir aufgegeben

Bärbel Kemper aus dem sächsischen Liebstadt ist mit dem Deutschen Waldpreis 2021 ausgezeichnet worden. Seit der Gründung des Landguts Kemper & Schlomski 2004 engagiert sich Kemper für ökologische Bewirtschaftung, Naturschutz und Umwelt-Kommunikation. Auf 100 Hektar Wald und Grünland hat sie als Leuchtturmprojekt einen „Bienenwald“ angelegt. Ein Gespräch über Arten-Vielfalt, Fichten-Sterben und den Wald der Zukunft.

Klimawandel ist mitunter schwer zu begreifen. Passiert es Ihnen, dass Sie nach einem schönen Regenschauer im Wald stehen und denken, so schlimm wird es vielleicht doch nicht? 
Bärbel Kemper: Ein Waldspaziergang nach einem Landregen ist ein Genuss für die Sinne. Aber wer mit offenen Augen durch unsere Wälder streift, erkennt bereits heute die dramatischen Folgen der Klimaveränderung.

Woran genau?
Die Fichte haben wir praktisch aufgegeben. Durch die Trockenheit der Jahre 2018 bis 2020, welche die Wissenschaft als die verheerendste Hitze- und Dürreperiode seit mehr als 2.000 Jahren ermittelt hat, sind die Fichten so geschwächt, dass der Borkenkäfer ein leichtes Spiel hatte und sie flächenweise zum Absterben brachte. Wir meinen schon, dass dies Zeichen des Klimawandels sind. Trockene Jahre gab es sicherlich immer einmal, so wie 1976 oder 2003, doch drei solche extremen Jahre hintereinander sind doch außergewöhnlich. Es ist ja sicherlich auch kein Zufall, dass die drei heißesten Sommer seit der Wetteraufzeichnung alle nach 2010 lagen.

Sie sind gerade als „Waldbesitzerin des Jahres“ geehrt worden. Was bedeutet das für Sie?
Ich sehe diesen Preis als Mittel, um unser Konzept in die Breite zu tragen. Ich gelte schon etwas als Exotin, aber das war mir immer egal. Ich mache das nicht im Stillen, sondern versuche, andere zu inspirieren. Wir hatten gerade drei Exkursionen mit Schulkindern, jedes hat ein Insektenhotel aus Konservendosen gebastelt und mit nach Hause genommen, das war toll. Jeder kann in seinem Gärtchen, auf dem Balkon etwas für Artenvielfalt tun.

Ihr großes Thema heißt „Bienenwald“ – warum ist das wichtig?
Eine Studie hat ergeben, dass von 1989 bis 2016 in rund 60 Schutzgebieten die Biomasse der Fluginsekten um circa 75 Prozent zurückgegangen ist. Die Insekten sind in unserer Natur ein so zentrales Element in der Nahrungskette, sei es für Kriechtiere, Vögel oder Fledermäuse, dass wir diese Entwicklung dringend umkehren müssen. Der Bienenwald wurde deshalb angelegt, um die Insekten zu fördern. Da „Insektenwald“ halt nicht so gut klingt, haben wir uns der positiv besetzten Biene bedient. Dabei sind wir uns bewusst, dass im Wald nicht die Honigbiene der erste Adressat ist, sondern Wildbienen, Hummeln oder Grabwespen.

Wir als Privatwaldbesitzer begreifen die Krise als Chance, den Wald neu zu denken, mit mutigen Ansätzen.

Wie muss so ein Bienenwald aussehen?
Es wurden nur nektar- und pollentragende Laubbäume und Sträucher gepflanzt. Dabei wurde darauf geachtet, dass diese zu unterschiedlichen Zeiten von früh wie zum Beispiel die Sal-Weide bis spät wie die Winter-Linde im Jahr blühen. Außerdem stellt sich darunter eine Bodenvegetation ein, die das Blütenangebot zusätzlich erhöht.

Das Schlagwort „Wald der Zukunft“ kommt gerade auf und klingt irgendwie optimistisch. Werden wir den Wald noch wiedererkennen?
In der Forstwirtschaft haben wir gern zurückgesehen. Wenn man vor großen alten Bäumen stand, wusste man, diese wieder zu pflanzen, kann nicht falsch sein. Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, dafür gibt es unterschiedliche Prognosen in den verschiedensten Szenarien. Sicher scheint nur, dass uns eine Temperaturerhöhung bevorsteht, die es erdgeschichtlich in so kurzer Zeit noch nie gegeben hat. Ist ein solcher Prozess früher in Jahrtausenden abgelaufen, rechnen wir heute in Jahrzehnten. Für uns heißt das, vielen natürlich hier bereits vorkommenden Baumarten eine Chance zu geben. Die „neue Natur“ wird entscheiden, wer fit ist und wer sich nicht mehr durchsetzen kann.

Die Landwirtschaft experimentiert mit neuen Arten und Sorten, die aus dem heißen Süden stammen. Funktioniert das bei Bäumen auch?
Die Landwirtschaft arbeitet schon seit Jahrtausenden mit Kulturpflanzen aus der ganzen Welt. Diese Züchtungen werden getestet, ehe der Landwirt sie anbaut. Diese Kulturpflanzen werden intensiv gepflegt. Sie müssen gegenüber der Witterung nur ein Jahr lang bestehen. Und wenn es schief geht, kann er es im nächsten Jahr wieder korrigieren. In der Forstwirtschaft müssen sich unsere Bäume in einem komplexen Ökosystem bewähren, wo wir sie durch Kulturpflege und Zaunbau in den ersten Jahren unterstützen können. Doch die übrigen Jahrzehnte sind sie auf sich allein gestellt. Deshalb denken wir, dass Baumarten, die sich seit Generationen in diesem Ökosystem bewährt haben, am besten geeignet sein werden, um auch den bevorstehenden Wandel bestehen zu können. Allerdings werden wir uns an den natürlicherweise hier vorkommenden Baumarten orientieren. Baumarten aus dem Süden werden sicherlich nicht großflächig angebaut. Wir können für unsere Breiten „normale Winter“ ja nicht ausschließen, die solche südländischen Arten einfach nicht überstehen. Solche Winter werden seltener werden, aber bei Standzeiten von über 100 Jahren wollen wir nicht darauf wetten.

 

Die sächsischen Staatsforste rechnen mit sechs Millionen Neupflanzungen pro Jahr. Kann die Forstwirtschaft die schiere Menge überhaupt bewältigen?
Das ist eine gewaltige Aufgabe. Es gibt so viel zu tun im Wald wie noch nie, aber es fehlt an Forstwirten, die das können. Man wird in manchen Bereichen auf Naturverjüngung setzen müssen.

Ändert sich der Charakter des Waldes, wenn zum Beispiel die Fichte verschwindet?
Diese Monokulturen mit dem „Geld-Baum“ Fichte haben auch etwas Bedrohliches, es ist dunkel, keine Vegetation am Boden. Ein Mischwald mit Krautschicht und Schmetterlingen ist für mich natürlicher.

Kann es die Holzwirtschaft wie bisher noch geben?
Die Holzwirtschaft hat länger Zeit, um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, denn unsere Bäume müssen ja erst einmal wachsen. Insofern kann man optimistisch sein, dass diese Anpassung gelingt. Denn an dem klimaneutralen Werkstoff Holz wird kein Weg vorbeiführen.

Wer kann und muss den Wandel vorantreiben: Ministerien und Staatsforste, oder eher private Waldbesitzer?
Aktuell werden alle vom merklichen Klimawandel getrieben. Wir als Privatwaldbesitzer begreifen die Krise als Chance, den Wald neu zu denken, mit mutigen Ansätzen, wie dem einer insektengerechten Aufforstung. Der positive Effekt auf die biologische Vielfalt ist unmittelbar und macht Schule. Inzwischen unterstützen wir andere Waldbesitzer bei der Umsetzung ihrer Waldnaturschutzprojekte im Rahmen unseres Netzwerks BienenwaldSchwärmer.

Wie teuer wird das, und wer kann das alles bezahlen?
Bezahlen werden das alle! Die Waldeigentümer sowieso, der Steuerzahler, weil vermutlich weiterhin Fördermittel gezahlt werden müssen, der Verbraucher, weil er absehbar vielleicht höhere Holzpreise bezahlen muss, der Waldbesucher, weil er sich möglicherweise erst einmal an neue Waldbilder gewöhnen muss.

Wird man in 30 Jahren noch einfach so zu einem Waldspaziergang aufbrechen können?
Das hoffe ich doch, Sie sind zum Spaziergang in unserem Wald herzlich eingeladen. Nach Kurt Mantel stellt der Wald als stärkste Pflanzengesellschaft das extremste und dauerhafteste Ökosystem in der Biosphäre dar. Das sollte auch noch in 30 Jahren gelten.

 

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