- Ausgabe 11 / 2025
- geschrieben von Bastian Henrichs

Juliane aus Wernigerode ist da, eine Person ist aus Dessau angereist, etwas später kommt Falko Jentsch, Vorstandsvorsitzender des CSD Sachsen-Anhalt, aus Magdeburg noch dazu. Aus Köthen sind drei Vertreter*innen der Linken Jugend gekommen und die Leiterin der lokalen Partnerschaft für Demokratie aus dem Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ ist auch da. Insgesamt sind es zehn Personen, die der Einladung von Julian Miethig zum Organisationstreffen für den Christopher Street Day (CSD) 2025 in Köthen gefolgt sind und den schmucklosen Seminarraum der Hochschule mit ihren gefärbten Haaren, bunten Fingernägeln und Piercings optisch deutlich aufwerten. Es ist Montagabend, in fünf Tagen findet der zweite Köthener CSD statt. Motto dieses Jahr: „Nie wieder still – Köthen liebt Vielfalt“. Die Stimmung ist angespannt, es läuft nicht rund in der Vorbereitung.
Köthen, eine Stadt mit knapp 30.000 Einwohnenden zwischen Magdeburg und Halle, ist bislang nicht dadurch aufgefallen, besonders vielfältig zu sein. Sie ist eher dafür bekannt, dass Johann Sebastian Bach hier sechs Jahre lang als Hofkapellmeister arbeitete oder dass der homöopathische Weltärzteverband hier seinen Sitz hat. Ansonsten sieht die Stadt so aus wie viele andere in dieser Gegend: schick restaurierte Häuser, Kopfsteinpflaster, ein Marktplatz mit Kirche, eine Fußgängerzone. Die Anzahl der hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass liegt bei etwa fünf Prozent.
Köthen ist aber auch eine von rund 40 kleineren Städten in den ostdeutschen Bundesländern, in denen in diesem Sommer eine CSD-Demonstration stattgefunden hat. Die Veranstaltungen, in vielen Fällen ein bunter Straßenumzug mit politischen Kundgebungen und kunstvollen Performances, erinnern an den ersten Aufstand von homosexuellen Menschen und anderen queeren Minderheiten gegen die Polizeiwillkür im Jahr 1969 in der New Yorker Christopher Street. Heute demonstriert die LGBTQIA+-Community auf den CSDs für die Rechte queerer Menschen, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung und feiert sexuelle Vielfalt.
Und es werden immer mehr: „2019 waren es deutschlandweit definitiv noch unter 100 angemeldete Demonstrationen“, sagt Falko Jentsch, Vorstand des CSD Sachsen-Anhalt e.V. und auch im Dachverband CSD Deutschland aktiv. „Seit dem letzten Jahr gibt es weit über 200 Anmeldungen.“ Queere Menschen trauen sich immer öfter, ihre Sexualität offen zu zeigen, zumindest auf den CSDs, die auch im ländlichen Raum Ostdeutschlands stattfinden, in Köthen, Wernigerode, Bernau oder Döbeln. Gerade hier, in den kleinen Städten und ländlichen Gegenden, wo meistens jeweils unter tausend Menschen an den CSDs teilnehmen, gewinnt die politische Dimension der Veranstaltungen an Bedeutung.
Während CSDs in Berlin, Leipzig oder Köln mehrtägige bunte Straßenfeste mit zehntausenden Menschen in friedvoller Atmosphäre sind, treffen queere Menschen auf dem ostdeutschen Land auf eine Bevölkerung, die in Teilen sexueller Vielfalt mindestens skeptisch, eher sogar ablehnend gegenübersteht. Der Sachsen-Monitor von 2023 – eine jährlich repräsentative Umfrage der Landesregierung über Alltag und Zukunftserwartungen der Menschen im Bundesland – besagt beispielsweise, dass 30 Prozent der Bevölkerung gleichgeschlechtliche Beziehungen für „unnatürlich“ halten, ein Anstieg um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kein Wunder also, dass eine weitere sächsische Studie zur Lebenslage queerer Menschen herausfand, dass fast die Hälfte der befragten Personen aus dieser Gruppe in den letzten fünf Jahren Beleidigungen, Bedrohungen oder Übergriffe erfahren hat. Nur ein Viertel fühlt sich im öffentlichen Raum sicher.
Immer wieder haben CSD-Organisator*innen mit Behörden zu kämpfen, die Genehmigungen nur mit schwer nachvollziehbaren Auflagen erteilen. Zudem werden Teilnehmende immer wieder bepöbelt, bedroht oder körperlich angegangen. Vor allem rechtsextreme Gruppierungen agitieren gegen CSDs, melden Gegendemonstrationen an, drohen mit Anschlägen und versuchen, die Veranstaltungen zu stören oder gar zu verhindern. Auch dieses Jahr begann der Sommer mit einem Überfall auf ein von der Initiative „Bad Freienwalde ist bunt“ organisiertes Straßenfest für eine vielfältige Gesellschaft und gegen Queerfeindlichkeit.
Die Gegendemonstrationen von Rechtsextremen und Nazis bei den CSDs 2024 in Bautzen, Zwickau und Leipzig, bei denen hunderte Rechtsextreme aufmarschierten, werden mittlerweile explizit im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Der Kampf für die eigenen Rechte ist für die LGBTQIA+-Community auch zu einem Kampf gegen die Bedrohungen aus der rechtsextremen Szene geworden und bekommt zunehmend Unterstützung aus der linken Antifa-Szene und von „Allys“ (nicht-queere Verbündete), die für Vielfalt und Toleranz einstehen wollen.


Stemmen sich aktiv gegen die Queer-Feindlichkeit im Land:
Falko Jentsch, Vorstand des CSD Sachsen-Anhalt e.V., und Aktivistin Juliane aus Wernigerode.
Streitfall Toilettenwagen
Im Seminarraum der Köthener Hochschule berichtet Julian Miethig von den Schwierigkeiten mit der Stadtverwaltung. Der 27-Jährige ist in Köthen geboren und wohnt seit ein paar Jahren wieder hier um zu studieren. Köthen ist seine Heimat, sagt er, sein Ruhepol. „Wenn man die Anfeindungen gegen queere Menschen weglässt, ist es sehr schön hier.“ Miethig betreibt auf verschiedenen Plattformen den Videoblog „Queer4mat“, auf dem er von CSD-Demonstrationen berichtet und Interviews führt. Er ist gut vernetzt in der Szene und viel unterwegs. 2024 hat er den ersten CSD in Köthen angemeldet, der medial sehr viel Aufmerksamkeit bekam, da der Entertainer Jan Böhmermann die Veranstaltung mit einer Spendenaktion unterstützt hatte.
Vergangenes Jahr war die Bürgermeisterin Christina Buchheim (Die Linke) noch Schirmherrin des CSD, nun spricht Julian Miethig von Schikanen und nicht vorhandener Kommunikation mit der Stadtverwaltung. Das momentane Hauptproblem: Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld, zuständige Genehmigungsbehörde für den CSD in Köthen, hat den Aufbau von Verkaufsständen und weiterer Infrastruktur wie Toilettenwagen auf dem Veranstaltungsgelände untersagt. Eine CSD-Versammlung ohne Getränke- und Essensversorgung und ohne die Möglichkeit, eine Toilette zu nutzen: schwer vorstellbar. Der Vorschlag der Bürgermeisterin, die Versorgungsstände außerhalb der Versammlung auf dem Marktplatz und die Toilettenwagen weit abseits hinter der Kirche zu platzieren, hat Miethig geärgert. „Ich bin ein bisschen explodiert“, gibt er zu. Das sei absolut unpraktikabel und gefährde zudem die Sicherheit der Teilnehmenden.

"Wir sind keine Missionare! Es muss Personen vor Ort geben, die einen CSD anmelden und organisieren wollen. Nur dann unterstützen wir."
Denn: Die größte Gefahr droht CSD-Besuchenden eher abseits der Veranstaltung, etwa auf dem Weg dorthin oder bei der Abreise. Oder im Vorfeld: Im vergangenen Jahr hatte es vor dem CSD Drohungen gegeben, Häuserwände wurden mit queerfeindlichen Schmierereien überzogen, auf dem Marktplatz Schrauben und am Bahnhof Buttersäure verschüttet. Eine Toilette außer Sichtweite der Veranstaltung sorge daher für Unsicherheit, meint Miethig. Und schließlich sei im vergangenen Jahr doch auch alles ermöglicht worden.
Julian Miethig und Falko Jentsch, die seit Monaten auf ein Gespräch mit der Bürgermeisterin gedrängt, dies aber nie gewährt bekommen hatten, beschlossen nach dem Klo-Vorschlag der Behörde, ein Statement zu veröffentlichen und es auch an die Presse zu geben. Darin greifen sie den Landrat und die Bürgermeisterin direkt an, sprechen von „systematischer Behinderung“, nicht vorhandener Kooperationskultur und Blockade. Das Statement haben über 12.000 Menschen auf Instagram geliked. Normalerweise kommen die Beiträge auf dem Kanal nicht über 100 Likes. Der Grund: Jan Böhmermann hatte es geteilt. Mit so viel Reichweite für sein Statement hatte Julian Miethig natürlich nicht gerechnet – und die Wirkung blieb nicht folgenlos: Bürgermeisterin Christina Buchheim ist sauer.
Wie man sieben Stunden zuvor deutlich beobachten kann, vor dem Eingang des Köthener Rathauses direkt neben der Kirche am Marktplatz. An den Fahnenmasten vor dem Rathaus soll die Regenbogenflagge gehisst werden – ein Zeichen der Stadtverwaltung für die Unterstützung von Vielfalt, Toleranz und der Solidarität mit der LGBTQIA+-Bewegung. Julian Miethig ist verhindert, dafür ist Juliane aus Wernigerode bereits morgens angereist, schließlich soll es einen Fototermin geben. Doch sie ist umsonst gekommen, das Hissen der Flagge muss wegen des Todes des ehemaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer verschoben werden. Statt Regenbogenfahne weht nun drei Tage lang eine Deutschlandflagge auf Halbmast.

Bürgermeisterin Christina Buchheim, die die Abwesenheit von Julian Miethig damit kommentierte, der Herr Miethig traue sich wohl nicht zu kommen, nutzt die Gelegenheit, um ihre Sicht der Dinge zu erläutern: „Die Vorwürfe der Organisatoren sind völlig absurd“, sagt sie. Die Verfügung komme schließlich vom Landkreis. Es sei für die Stimmung gegenüber dem CSD nicht förderlich, wie die Organisator*innen gegen die Stadt austeilten. „Wenn man ein gutes Miteinander wünscht, sucht man andere Wege.“ Sie verkündet, dass die Regenbogenflagge in drei Tagen gehisst werde und verschwindet wieder im Inneren des Rathauses.
Was in Köthen passiert ist, wird in unterschiedlichen Ausprägungen auch aus anderen Städten berichtet: In Schönebeck, wo im April einer der ersten CSDs des Jahres stattfand, beendeten die Behörden den Event vorzeitig. Begründung: Der CSD sei keine rein politische Demonstration und für die anschließende „Veranstaltung“ sei nicht ausreichend Sicherheitspersonal da. Außerdem, so berichtet Anmelder Falko Jentsch, befragten Ordnungsbeamte ehrenamtlich arbeitende Personen am Getränkestand, wollten deren Daten aufnehmen und bezichtigten sie der Schwarzarbeit. Auch Jentsch selbst musste im Protokoll versichern, dass er niemanden schwarz beschäftige.
In Dessau seien die einzelnen Programmpunkte genau beobachtet und geprüft worden, ob auch wirklich alle Auftritte einen politischen Inhalt haben. „Die saßen da mit ihren Klemmbrettern und haben sich Notizen gemacht. Das wird sicher nächstes Jahr verwendet, um den Zeitraum der Demonstration zu verkürzen“, mutmaßt Jentsch, der acht der elf CSDs in Sachsen-Anhalt mit angemeldet hat. „Immer wieder werden wir mit absurden Auflagen konfrontiert.“
Um diesem Phänomen zu begegnen, um möglichst viele Pride-Veranstaltungen durchführen zu können und die Organisator*innen vor Ort zu unterstützen, gibt es den CSD Sachsen-Anhalt e.V., der 2021 in Magdeburg gegründet wurde. „2019 gab es den ersten CSD-Satelliten in Schönebeck“, erzählt Jentsch. Es seien einige Personen aus dem Magdeburger Nachbarort auf den CSD-Verein in Magdeburg zugekommen, weil sie selbst etwas machen wollten. „Das haben wir unterstützt – und das war eine Art Initialzündung.“ Nach und nach gab es immer mehr Anfragen und Anmeldungen von CSDs in Sachsen-Anhalt, der Austausch und die gegenseitige Unterstützung wurde größer.

„Es sind viele Freundschaften entstanden. So kommt eben Juliane aus Wernigerode nach Köthen und ist in der Vorbereitung superaktiv. Oder jemand aus Köthen hilft bei der Organisation in Stendal mit.“ Gefeiert und demonstriert wird sowieso zusammen. Eines ist Jentsch wichtig: „Wir sind keine Missionare!“, sagt er. „Es muss Personen vor Ort geben, die einen CSD anmelden und organisieren wollen. Nur dann unterstützen wir.“ Der CSD Sachsen-Anhalt stellt dann auch Equipment, Zelte, Stehtische, Pfandbecher.
Das bunte Hinterland
Im Nachbarland Sachsen hat die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung innerhalb der queeren Szene vor allem noch einen anderen Hintergrund: die Bedrohungen durch die rechtsextreme Mobilisierung bei Gegendemonstrationen zu den CSDs und die Angst vor gewaltbereiten Nazis. Queere und antifaschistische Aktivist*innen haben sich nach den Ereignissen des letzten Jahres in Bautzen und Leipzig, wo hunderte Rechtsextreme aufmarschiert waren, zusammengeschlossen und das Netzwerk „Wir sind das bunte Hinterland“ gegründet.
In einer gemeinsamen Erklärung ostdeutscher CSDs und Pride-Veranstaltungen heißt es: „Wo rechte und antidemokratische Kräfte an Einfluss gewinnen, werden unsere Räume und unsere Sichtbarkeit aktiv bedroht. Einen CSD zu organisieren, bedeutet hier nicht selten, sich persönlichen Anfeindungen, Drohungen und manchmal sogar physischer Gewalt auszusetzen.“ Dann folgt ein Aufruf zur Solidarität: „Wir rufen alle queeren Menschen und Verbündeten aus dem gesamten Bundesgebiet auf: Kommt zu den CSDs in den kleineren Städten Ostdeutschlands! Helft mit eurer Präsenz, sichere Räume zu schaffen und ein antifaschistisches Zeichen gegen Hass und Ausgrenzung zu setzen.“
Eine Person, die das Netzwerk aktiv unterstützt und selbst häufig in der Öffentlichkeit auftritt, um auf die Situation queerer Menschen in Sachsen aufmerksam zu machen, ist Ocean Hale Meißner. Meißner kommt aus Döbeln, einer kleinen Stadt siebzig Kilometer südöstlich von Leipzig. Meißner hat vor drei Jahren gemeinsam mit der Gruppe „Queeres Döbeln“ den ersten CSD in dem Ort organisiert und steckt Anfang Juli bereits in den Vorbereitungen auf die diesjährige Demonstration, die am 20. September stattfinden soll. Meißner definiert sich als nonbinär (deswegen nutzen wir in diesem Artikel keine Pronomen für Meißner) und hat vor einigen Jahren offiziell den neuen Namen Ocean für sich eintragen lassen. Schon als Kind verkleidete sich Meißner gerne als Frau, auch heute geht Meißner in Kleid und Schuhen mit hohen Absätzen durch seine Heimatstadt und erzählt: „Die meisten gucken nur blöd.“ In seiner Jugend hat Meißner vielfach Erfahrungen mit Nazis machen müssen.

Schillernde Figur mit eindeutiger Haltung: Aktivist Ocean Hale Meißner berichtet von regelmäßigen Mord- und Gewaltandrohungen aus der rechtsextremen Szene.
Was Meißner über die Organisation des CSD und die Erlebnisse des letzten Jahres sagt, lohnt sich aus Gründen der Eindringlichkeit und Authentizität hier nahezu vollständig und redaktionell bearbeitet wiedergegeben zu werden:
„Die Unterstützung für den CSD aus der Stadt hält sich leider in Grenzen. Es gibt immer noch ein paar Geschäfte, die eine Regenbogenflagge oder Plakate aufhängen, die meisten Geschäfte wollen mit dem Thema aber am liebsten gar nichts zu tun haben. Das ist schade, was mich aber wirklich beunruhigt ist, dass es Menschen gibt, die uns eigentlich unterstützen wollen, es aber nicht tun, weil sie Angst haben, dass ihnen die Scheibe eingeschmissen wird oder dass die Leute nicht mehr bei ihnen einkaufen. Über so etwas muss man sich in einer kleinen Stadt wie Döbeln leider Gedanken machen. Ich kann die Ängste zwar nachvollziehen, schließlich gab es jedes Jahr Buttersäureanschläge auf den CSD. Trotzdem wäre ein bisschen mehr Unterstützung ein wichtiges Zeichen der Solidarität.
Denn für die Teilnehmenden ist die Bedrohung noch viel unmittelbarer: Vergangenes Jahr hielt die zuständige Genehmigungsbehörde eine rechte Gegendemonstration, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort angemeldet worden war, für genehmigungswürdig. Das hatte zur Folge, dass eine Gruppe Rechtsextremer direkt hinter unserer CSD-Demonstration herlaufen konnte. Reichsflaggen wehten, Hitlergrüße wurden gezeigt, es gab hässliche Schmährufe und Pöbeleien. Unser Umzug musste an einem Punkt direkt an den Nazis vorbeiziehen, es waren vielleicht drei Meter und nur eine kleine Polizeikette dazwischen. Natürlich haben da viele Leute Angst. Auch weil es den Nazis aufgrund der unmittelbaren Nähe möglich ist, die Teilnehmenden unserer Demo zu filmen und uns dann im Alltag anzugreifen, wenn im Vergleich zum CSD kein Polizeischutz da ist. Uns ist bewusst, dass es im rechtsextremen Milieu Listen mit unseren Namen und Bildern gibt.
Wir sind dankbar, dass an diesem Tag auch einige Leute aus Großstädten angereist sind, um den CSD durch ihre Anwesenheit zusätzlich zu schützen und sich den Nazis bewusst entgegenzustellen. Darunter sind auch Menschen, die zwar selbst nicht queer sind, aber verstanden haben, dass es die Aufgabe unserer Gesellschaft ist, für gleiche Rechte für alle Menschen einzustehen. Es muss allen bewusst sein, dass der Kampf für queere Rechte auch ein Kampf gegen Faschismus ist.
Was mich sehr berührt hat, war, dass trotz dieser heftigen Konfrontation, einzelne Menschen nach dem CSD zu mir kamen, und sagten, dass sie sich sogar fallen lassen konnten und getanzt und Spaß gehabt haben. Das zeigt uns als organisierenden Personen, dass unser Schutzkonzept mit der Unterstützung aus anderen Städten doch weitgehend erfolgreich war und sich einige Menschen sicher gefühlt haben. Besonders für uns Organisierende trifft das aber weder auf der Demo noch im Alltag zu. Wir erhalten regelmäßig Mord- und Gewaltandrohungen. Ich verstehe nicht, warum wir als pazifistische und aktivistische Personen uns Gedanken über unseren eigenen Schutz machen müssen. Das wäre doch eigentlich Aufgabe des Staates.
Ich dachte, dass die Ereignisse beim CSD in Bautzen und die schockierenden Bilder aus dem letzten Jahr etwas verändert hätten. Ich hatte das Gefühl, dass Teile der Politik und die Behörden aufgewacht sind und endlich verstanden haben, dass es höchste Zeit ist zu handeln und unsere Community zu schützen. Denn zunächst hatte das gut geklappt. Ich war nach Bautzen noch auf einigen CSDs und habe positive Erfahrungen gemacht, auch in kleineren Orten wie unserer Nachbarstadt Freiberg, wo mich das hohe Aufgebot an Polizei und das Bereitstellen von Wasserwerfern positiv überrascht und beeindruckt hat. Aber spätestens beim CSD in Döbeln, musste ich feststellen, dass es nur Wunschdenken war und es von den lokalen Behörden und der Polizei abhängt, ob wir angstfrei demonstrieren können oder eben nicht.
Aufgrund der erschreckenden Erfahrungen in Döbeln letztes Jahr, waren wir uns lange nicht sicher, ob wir auch dieses Jahr einen CSD veranstalten sollten. Letztendlich haben wir aber die Entscheidung getroffen, es doch zu tun. Wir wollen den Nazis trotz der Einschüchterungsversuche nicht die Stadt überlassen. Am 20. September ziehen wir unter dem Motto „Ob Großstadt oder Hinterland, es lebt der queere Widerstand“ mit bunten Flaggen durch unsere Straßen und hoffen an diesem Tag wieder auf zahlreiche Unterstützung und Solidarität.“
"Es muss allen bewusst sein, dass der Kampf für queere Rechte auch ein Kampf gegen Faschismus ist."
Ein politisches Statement
In Sachsen-Anhalt sei es auch schon vorgekommen, dass antifaschistische Gruppierungen zu CSD-Demonstrationen angereist waren. Natürlich sind sie eingeladen und willkommen, es habe sich für viele aber komisch angefühlt, sagt Jentsch. Denn die Antifas sind meist schwarz gekleidet statt bunt, laufen neben den Demonstrationszügen her, stechen heraus. In Sachsen-Anhalt sei es auch nicht mehr so dringend nötig, seit einem Beschluss des Landtags im Januar 2024: Initiiert von der Partei Die Linke hat der Landtag in der Drucksache 8/3607 beschlossen, dass CSD-Demonstrationen unter besonderen Schutz zu stellen sind. Für Falko Jentsch ein wichtiger Schritt: „Ich bilde mir ein, dass so etwas wie in Bautzen in Sachsen-Anhalt nicht mehr passieren kann.“ Der Beschluss, der auch besagt, dass die örtlichen Polizeistellen für die CSD-Organisator*innen direkte Ansprechpartner*innen bereitstellen müssen und die verstärkte Einbindung queerer Ansprechpersonen bei der Polizei befürwortet, ist bisher einzigartig in Deutschland.
Die Polizei, das betont Jentsch immer wieder, sei sowieso nur selten das Problem. Oft ist sie nur ausführende Kraft, wenn sie vom Ordnungsamt dazu aufgerufen wird. So wie in Köthen, wo Jentsch und Julian Miethig zwei Tage vor dem CSD per Eilverfahren erwirkt hatten, dass Versorgungs- und Toilettenwagen doch auf dem Gelände stehen durften. Sondernutzungsrecht.

Beim Aufbau am Morgen des CSD gingen die Schikanen jedoch weiter. Zuerst untersagte das Ordnungsamt die Nutzung des Stroms für die Bühne. Jentsch verwies auf den Gerichtsentscheid, nach dem die Infrastruktur gestellt werden müsse, darunter falle seiner Ansicht auch Strom – und baute weiter auf. Daraufhin schickte das Ordnungsamt die Polizei, die deutlich kooperativer agierte. Man einigte sich. Später mussten die Organisator*innen noch den Getränkeausschank, der nun auf dem Gelände der Kirche, aber zur Hälfte auf dem Marktplatz stand, verrücken. Und die Toiletten blieben den ganzen Tag ohne Licht.

„Der häufigste Satz, den ich von Ordnungsbeamt*innen gehört habe, war: ,Wir interpretieren das anders‘“, sagt Jentsch. Die Bereitschaft, die Organisation des CSD zu unterstützen und Aufbau und Ablauf so einfach wie möglich zu machen, war auf null gesunken. Letztlich fand die Veranstaltung aber wie geplant statt. Rund 400 Menschen zogen für das Recht auf sexuelle Freiheit durch Köthen, für Vielfalt, Gleichberechtigung und Toleranz. Im Regen zwar, aber ohne besondere Vorkommnisse.
In einer Pressemitteilung gab die Köthener Bürgermeisterin Christina Buchheim nach dem CSD bekannt, dass sie mit den beiden Organisatoren Miethig und Jentsch in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten werde und rechtliche Schritte gegen sie erwäge.