Vor Sportlerheimen, Pfarrhäusern, Feuerwehrzentren, Amtsstuben und Gutshäusern hat die mobile Forschungsstation halt gemacht. Gemeinsam mit Bewohner*Innen vor Ort und dem Delitzscher Land e.V. brachten wir In fünf Tagen und zehn Terminen 53 der 107 Ortsteile auf die Landinventurkarte.
Neben den überraschenden Blick auf all das, was den eigenen Lebensort besonders macht, boten die Werkstätten besondere Gelegenheiten zum Austausch und kennelernen. Erinnerungen, Anekdoten aber auch Diskussionen über die Zukunft kamen zu Tage.
Eine Auswertung der gesammelten Daten und Erkenntnisse ist nun der nächste Schritt. Im Januar 2022 werden die Ergebnisse auf einem gemeinsamen Termin vorgestellt und diskutiert.
Es fehlt noch ein Dorf?
Den Oktober gibt es noch die Möglichkeit die Delitzscher Landinventur auf www.landinventur.denachzuholen!
Was findet die Landinventur eigentlich heraus, wenn eine ganze Region die Landinventur durchführt? Das wollen wir in einem ko-kreativen Prozess mit dem Delitzscher Land e.V. herausfinden. In der LEADER Region Delitzscher treten wir nun in eine neue Phase der Landinventur in Sachsen ein. In diesem Pilotprojekt soll der Blick auf die 107 Ortsteile in 10 Kommunen in der LEADER Region geschärft werden und ein differenziertes Bild der Region entstehen.
Der öffentliche Auftakt war der Multiplikator*innen Workshop am Montag, den 20.9.2021, zu dem bereits 35 Bewohner aus verschiedensten Ortsteilen und die Presse das Projekt und die Landinventur vorgestellt bekamen. Neben interessierten Fragen führten wir bereits die erste Inventur durch und beteiligten alle Besucher auf unsere Suche nach Dorfbotschaftern mit Gemeindeindividuellen Postern und Flyern.
In der Erhebungswoche vom 12-16 Oktober machen wir uns mit der mobilen Forschungsstation auf den Weg zu 10 Standorten im Delitzscher Land und gemeinsam mit den Bürgern vor Ort die Landinventur durchzuführen. Die Datenauswertung und ein Workshop zum Austausch über Ergebnisse folgen im Winter 2021/2022.
Endlich ist er da – der erste Landinventur-Bericht!Für ihn haben wir die Daten aus rund 200 Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ausgewertet. Er ist gleichzeitig der Versuch, dafür eine neue Form für solche Berichte zu finden – genauso, wie Landinventur Wissenschaft neu denkt. Wir nehmen euch also mit auf eine kleine Reise in die Realitäten des Landlebens im 21. Jahrhundert.
Zuerst geht es in das fiktive „Durchschnittsdorf“ Meuselitz, durch das ein ganz anderes Bild vom ländlichen Raum im Nordosten von Deutschland entsteht, als uns in den Medien und der Politik im Hinblick auf sterbende Dörfer noch so oft begegnet. Gleichzeitig widmen wir uns der Frage, ob es einen „neuen Landtrend“ gibt. Folgende Beobachtungen sind dabei für uns zentral:
Das „Durchschnittsdorf“ entwickelt sich positiv, hat fast keinen Leerstand und rund ein Viertel der Leute engagieren sich für ein lebendiges Dorfleben.
Die Dörfer wachsen und das schon seit der Jahrtausendwende. Nun lässt vor allem der Wegzug deutlich nach.
Die Dörfer in einer Region entwickeln sich sehr unterschiedlich. Es gibt Dörfer mit Ausstrahlung, Engagementdörfer, jene, die die lebendige Basis des Landlebens bilden und genügsame Dörfer.
Die verschiedenen Zuzugsdynamiken lassen sich in „Städter im Herzen“ und „Dörfler im Herzen“ unterscheiden.
Mehr dazu lest ihr im Bericht, den wir am Samstag, den 27.3.2021 auf der digitalen Jahreskonferenz der Akademie der Dorfhelden, Schloss Trebnitz, offiziell präsentiert haben. Danke an die Dorfbewegung Brandenburg und die energiegeladenen Macher*innen überall in Brandenburg. Jetzt geht es ans Weiterkartieren, damit wir bis zum Parlament der Dörfer im Juni neue Einblicke in die Dörfer präsentieren können! Wenn ihr Unterstützung braucht oder uns dabei unterstützen wollt, dann meldet euch per Mail oder fangt gleich an, euer Dorf auf Landinventur.de zu kartieren.
Wir waren ausnahmsweise mal nicht auf dem Land, sondern Mitten in Berlin mit der mobilen Forschungsstation. Und zwar auf dem Mitforschen! Citizen-Science-Festival in der Kultur Brauerei. Leider fiel das Festival am 14. Und 15. Oktober schon in die Zeiten der steigenden Coronazahlen, sodass viel weniger Projekte als geplant anwesend waren. Das schlechte Wetter hat es dann noch den wenigen Gästen nicht ganz einfach gemacht. Dafür hatten wir mit allen Besucher*innen intensive Gespräche – von der Kindergartengruppe bis zum parlamentarischen Staatssekretär Dr. Michael Meister MdB. Aufhänger war nicht selten der Blick der Großstädter*innen auf das Land, der sich gerade in diesen herausfordernden Zeiten sehr zu verändern scheint. Die Stadt wird mit Corona noch enger, als sie es ohnehin schon war. Was das Dorfleben heute ausmacht konnten wir anhand der Zahlen gut erläutern. Gleichzeitig stieß unser Ansatz und Thema auf Interesse. Die anderen Projekte waren eher das, was man als „klassische“ Citizen Science Projekte kennt: dem Gartenschläfer auf die Spur kommen, Stickstoff-Messstationen aufhängen oder Plastik in Gewässern kartieren. Mit der Landinventur betrachtet wir vielmehr die alltägliche Lebenswelt und versucht daraus sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren.
Darüber hinaus beschäftigt uns gerade, das Aufbauen eines Netzwerkes an möglichen Partnern, die die Landinventur in ihrer Region voranbringen. Dazu sind wir im Gespräch mit zwei LEADER-Arbeitsgruppen und der TH Wildau. Wir sind gespannt, wie wir die Landinventur auf diesem Weg zu einem Projekt machen können, was von starken Partnern selbstständig weiterverbreitet wird.
Am Donnerstag, den 24.9.2020 waren wir mit der Landinventur zu Gast in der Heimvolkshochschule am Seddiner See, eingeladen vom Forum ländlicher Raum in der Veranstaltungsreihe DorfDialog „Fahrplan fürs digitale Dorf: Digitale Tools für die Dorfentwicklung“ Die intensive und angeregte Diskussion mit 10 Gästen, darunter auch Grit Körmer, die mit der Dorfbewegung Brandenburg unsere regionale Partnerin ist, hat uns vor Augen geführt, wie herausfordernd die Gestaltung und Entwicklung von Dörfern unter den heutigen Bedingungen ist. Die engagierten Ortsvorsteher*innen und Bürger*innen kämpfen nicht selten um das Gehör und die Wahrnehmung in der Gemeinde, erst recht wenn sie in eine Stadt eingemeindet wurden. Sie haben kaum Spielraum eine eigenständige Dorfentwicklung voran zu bringen und dabei nicht nur kein Geld, sondern dazu noch eine Menge bürokratischer Hürden zu meistern. Gleichzeitig ist auch die Trendwende im ländlichen Raum in Brandenburg ganz deutlich zu spüren: es gibt überall Zuzug und Nachfrage nach Immobilien und Baugrundstücken. In den Dörfern gibt es die Besorgnis, wie man mit dem ganzen Zuzug noch „Dorf“ bleiben kann und gleichzeitig die Neuzugezogenen gut integriert und zeigt, was es schon alles gibt.
Diese Prozesse kann die Landinventur auf mehreren Ebenen unterstützen
durch das gemeinsame Kartieren können (alte und neue) Bewohner*innen zusammengebracht und für die lokalen Potenziale sensibilisiert werden
die Daten sind die Grundlage für eine Analyse und Diskussion der lokalen Stärken, Herausforderungen und Potenziale, auf deren Grundlage neue Ideen und Projekte entstehen können und der Standpunkt innerhalb der Gemeinde gestärkt (und mit Daten belegt) werden kann
die entstandene Karte des Dorfes, sowie die Kartei der Vereine lässt sich bspw. mit der Dorf- oder Gemeindewebseite verlinken, um auf einen Blick zu zeigen, was es im Dorf bereits alles gibt
Diesen Mehrwert noch deutlicher heraus zu stellen und neue (analoge) Materialien für das gemeinsame Arbeiten in den Dörfern zu entwickeln, nehmen wir als Arbeitsaufgabe mit.
Ebenso gab es eine lange Diskussion, die ein zentrales Thema betrifft: Open Data/Open Science. Wie offen und sichtbar sollten die Daten sein? Das Mindset in der Forschung und Gesellschaft geht heute in Richtung offener Daten, um den Mehrwert für die Gesellschaft herauszustellen. Auch wir finden die Idee im ersten Augenblick attraktiv, da wir die Arbeit der Bürgerwissenschaftler*innen nicht verschlossen halten wollen, sondern sie sozusagen der Allgemeinheit zurückgeben wollen. Beim letzten Arbeitsworkshop hat Daniel Mietchen, leidenschaftlicher Wikipedianer und Entwickler der Plattform WikiData sich sehr für die Potenziale ausgesprochen, die darin liegen, wenn Wissen für alle zugänglich ist. Gleichzeitig müssen wir dabei die Datenhoheit der Dörfer und Leute vor Ort respektieren und Möglichkeiten schaffen, selbst zu entscheiden, was wie sichtbar und offen ist. Gibt es hier vielleicht auch ein wichtiges Arbeitsfeld für die Person, die wir bisher Dorfbotschafter genannt haben: die Daten zu verifizieren, mit dem Dorf abzustimmen, wie sichtbar sie sein sollen und auch in diesen Belangen ein lokaler Ansprechpartner für uns zu sein? An dieser Diskussion werden wir dranbleiben und damit in die nächste Entwicklungsphase starten.
Für uns war der Workshop ein wunderbares Beispiel dafür, was ko-kreative Entwicklung und bürgerwissenschaftliches Forschen bedeutet und dazu gehört auch das kritische Hinterfragen und gemeinsame weiterdenken. Danke an alle die dabei waren.
Es geht weiter! Auch nach dem Ende der offiziellen Förderung durch das BMBF schaffen wir es, die Landinventur in kleinen Schritten gemeinsam mit unseren Partner*innen des Netzwerkes Lebendige Dörfer e.V. und dem Forum Netzwerk Brandenburg voran zu bringen. So gibt es jetzt die Landinventur offiziell auch für Brandenburg
Bei bestem Wetter hat die Landinventur am 17. Und 18. Juli Station auf der zivilgesellschaftlichen Messe auf dem Campus Schloss Trebnitz gemacht. Unter freien Himmel durften wir die Idee und die Plattform direkt vor Ort vorstellen – aufgrund von Corona mit den gebotenen Abstandsregeln.
In einer Diskussionsrunde haben wir dabei nicht nur über bisherige Erkenntnisse und zukünftige Möglichkeiten ausgetauscht. Vor allem wird sich etwas im weiteren Vorgehen ändern, da wir es nicht mehr schaffen, jedes Dorf persönlich zu besuchen und beim kartieren zu begleiten. Die Rolle von Multiplikatoren wie dem Netzwerk Lebendige Dörfer wird essentiell und es wird zentrale Weiterbildungsangebote geben, um Dorfbotschafter in die Funktionsweise der Landinventur einzuführen, damit diese dann selbstständig Workshops vor Ort durchführen können. Von diesem Schritt erhoffen wir uns auch, dass sich die verschiedensten Akteure die Landinventur als Werkzeug zueigen machen und für sich und ihre lokale Entwicklung bzw. Beteiligungsprozesse nutzen.
Den ersten Landinventur-Weiterbildungsworkshop können wir am 24.9.2020 gemeinsam mit dem Forum Netzwerk Brandenburg anbieten. Mehr dazu in Kürze.
Auch wenn die offizielle Laufzeit der Landinventur als Teil des BMBF-Programms vorbei ist, sind wir weiter vor Ort unterwegs. Am 4. März hat uns der neu gewählte Bürgermeister Jan-Hendrik Hempel der Gemeinde Schmatzin, zu der auch die Dörfer Wolfradshof und Schlatkow gehören, eingeladen. Für ihn war der gemeinsame Workshop der Ausgangspunkt für einen Denkprozess: Wo wollen wir als Gemeinde in den nächsten Jahren hin will und was es braucht es vor Ort? Dieser Einladung sind für so kleine Dörfer bemerkenswerte 15 Leute gefolgt und mehr „als die üblichen Verdächtigen“. Neugierig und mit großem Interesse arbeiteten sich die drei Teams durch den Fragebogen.
Der Vergleich https://landinventur.de/compare?l=2929&l=3603&l=2905 offenbarte anschließend, dass sie von den Daten ein recht ähnliches Bild abgeben. Die Orte sind alle drei vergleichsweise klein, aber haben vom Zuzug der letzten Jahre profitiert. Leerstand gib es keinen, dafür immer mehr Kinder. Fast alle Bewohner arbeiten außerhalb, Wochenendbewohner gibt es so weit im Osten und im Küstenhinterland wenige. Die bauliche Dorfstruktur ist recht locker, die Gärten sind groß und werden zum großen Teil auch für den Anbau von Gemüse und Obst genutzt. Auch Tiere gibt es dementsprechend einige auf den Grundstücken und viele Bewohner*innen haben sogar noch ein Stück Wald, wo sie Holz einschlagen. Mit der klassischen Infrastruktur allerdings sieht es schlecht aus – Internet und Handyempfang sind alles andere als gut und der Bus fährt selten. Kita und der Einkaufsladen haben längst geschlossen, nur ein Dorfhaus, Festscheune und eine Sporthalle gibt es noch. Engagiert ist man im Kulturverein oder der freiwilligen Feuerwehr, die Zahl der Leute ist überschaubar und doch sind sie die verlässliche Basis, damit überhaupt etwas geht. In der Diskussion der Ergebnisse wird dies dann auch nochmal deutlich: eigentlich fehlt es den Bewohner*innen an nichts substanziellen und es gibt eine große Zufriedenheit über das Leben vor Ort. Die Dörfer scheinen gut zu funktionieren, es gibt Zuzug, Kinder und eine nette Dorfgemeinschaft. Nur der besorgte Blick des Bürgermeisters macht deutlich, dass es hinter den Kulissen anders aussieht. Ohne eigenes Verschulden ist die Gemeinde schon lange im Haushaltssicherungskonzept und jedes agieren ist eigentlich unmöglich – selbst den Status Quo zu erhalten ist ein großer Kraftaufwand, der nur durch das ehrenamtliche Engagement gelingt. Und dabei geht es nicht einmal um das Gemeindeleben, sondern darum den Spielplatz einigermaßen zu reparieren, die Straßenlampen zu ersetzen, die Feuerwehr instand zu halten – egal was, „immer müssen die Bewohner*innen mit dem Spaten anrücken und es selbst richten“.
Am nächsten Tag waren wir im Gemeinderaum in Bauer im Lassaner Winkel. Auch hier haben wir fünf Dörfer kartiert und dabei gemerkt, wie herausfordernd es ist, eine ganze Region in den Blick zu nehmen. Besonders im Lassaner Winkel sind die Engagementsstrukturen und regionalen Netzwerke sehr wichtig für die Regionalentwicklung und das Leben auf den Dörfern. Diese zu erfassen ist mit der Landinventur noch gar nicht so einfach. Aber genau dafür sind wir um jeden Workshop so dankbar und nehmen die Arbeit mit den Dorfbotschaftern bzw. Bürgerwissenschaftler*innen so ernst: immer wieder stoßen wir auf neue Aspekte, die wir für die nächste Überarbeitung der Landinventur mitnehmen. So bekommen ein genaues Bild für die Qualität der Daten und können diese mit der Situation vor Ort abgleichen.
Für den letzten Workshop in der Förderperiode des BMBF haben wir uns einen ganzen Nachmittag mit drei Themen vorgenommen, die wir mit unseren zwölf Gästen diskutiert haben. Uns ging es vor allem darum, welche wichtigsten Entwicklungsstränge wir in Zukunft weiterverfolgen wollen. Denn eins ist in den letzten zwei Jahren deutlich geworden: Potenziale und Anknüpfungsideen gibt es viele und diese werden uns von den unterschiedlichsten Akteuren nahe gelegt. Die Regionalentwicklung braucht genauere Daten über die Dörfer, die Landespolitik einen Einblick in die Herausforderungen des Landlebens und zukünftige Unterstützungsmöglichkeiten (ja, nicht Leerstand ist das Problem, sondern das die gesamte Dorfentwicklung beispielsweise von ehrenamtlich Engagierten geleistet wird), Leute aus den Städten hätten am liebsten eine App um das passende Dorf zu finde, um endlich “raus” ziehen zu können – um nur einige zu nennen.
Für den Workshop haben wir sechs Prototypen entwickelt, die solche zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen
eine visuelle Datenauswertung auf Landesebene (statt der einfachen Pins)
neue Erfahrungsformate wie eine Soundinstallation
einen Online-Weiterbildungskurs für Landinventur-Multiplikator*innen sowie eine Landinventur-Box für Workshops
eine App für Zuzügler und neue kollektive Datenerhebungsmethoden
eine “Landinventur-Studie” um die Daten für Regionalentwicklungsprozesse aufzuarbeiten
Datenschnittstellen zu WikiData und Open Streetmap um die Daten auch für andere Nutzungen zur Verfügung zur Stellen
An drei dieser Prototypen knüpften sich Themblöcke an, für die wir uns zusätzliche Inputs eingeladen haben.
Sozialwissenschaftliche Daten in der Regionalentwicklung
Tanja Schmidt vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin
In diesem Input ist deutlich geworden, dass die Daten der Landinventur tatsächlich eine Lücke schließen und ergänzend zu amtlichen Daten oder beispielsweise den sehr lückenhaften Daten des Handelsregisters. Durch quantitative Vorgehensweisen wie multidimensionale Clusteranalysen wäre es durchaus möglich, mit den Landinventurdaten beispielsweise Dorftypen auszuwerten und diese für Regionale Entwicklungsprozesse zu nutzen. Die Hausaufgabe an uns: es braucht noch deutlich mehr kartierte Dörfer!
Wissenschaft anders kommunizieren
Dirk Hendler von stories unlimited
Mit Bürgerwissenschaften insgesamt und der Landinventur besonders, sind wir dabei Wissen anders zu produzieren – nämlich gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Wie kann man die Erkenntnisse auch anders kommunizieren? Welche Formate braucht es dafür und wen müssen wir mit diesem Wissen unbedingt erreichen? Die vorgestellte Soundcollage mit individuell erzeugten Klängen, die die verschiedenen Datensätze zum Dorf widerspiegeln ist ein Zugang. Aber auch Ideen wie eine “enkelfähig Challenge” wo Kinder mit ihren Großeltern gemeinsam die Landinventur ausfüllen oder eine ganz andere Aufbereitung der Ergebnisse als in den Balken- und Tortendiagrammen bisher könnten neue Perspektiven eröffnen.
Open Science
Daniel Mietchen, Biophysiker und Fürsprecher Offener Wissenschaft, Wikimedianer und Daten Wissenschaftler, School of Data Science Virginia
Daniel Mietchen hat uns einen Einblick in die Idee hinter Open Science und Open Data gegeben. Ganz konkret hat er gezeigt wie WikiData funktioniert und wie die Daten der Dörfer hier einfließen könnten. Klar ist vor allem geworden: die Fragen “Wem gehören die Daten?” und wie “offen” sollen sie sein, sind nicht leicht zu beantworten. Denn der Erhebungskontext im Rahmen eines Bürgerwissenschaftsprojektes ist sicher ein besonderer und kann durch das unkommentierte zur Verfügung und eine Weiternutzung in einem anderen Kontext leicht verloren gehen. Wir nehmen mit: auf jeden Fall ein Thema mit dem wir uns noch ausführlich beschäftigen müssen.
Ganz besonders war die Atmosphäre an diesem Nachmittag – trotz straffen inhaltlichen Programms wurde viel gelacht und angeregt diskutiert. Und genau das ist Bürgerwissenschaften für uns: gemeinsam weiterzudenken und aus solchen Workshops die Arbeitsaufgaben und Leitplanken für die weitere Entwicklung der Landinventur mitzunehmen. Diese Expertenworkshops ergänzen damit die gemeinsame Arbeit mit den Dorfbotschaftern und den Menschen vor Ort. Für den inspirierenden Workshop möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich unseren Gästen danken:
Grit Körmer, Dorfbewegung Brandenburg e.V. /Regionalmanagement LAG Märkische Seen
Dirk Hendler, Stories Unlimited
Tanja Schmidt, Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin
Daniel Mietchen, School of Data Science Virginia
Ralph Martens, Wittich Verlag
Sebastian Stäbler, Source One, IT Services
Tanja Blankenburg, Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung, Abteilung Energie und Landesentwicklung Mecklenburg Vorpommern
Annett Steinführer, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Institut für Ländliche Räume
Johann Kaether, Hochschule Neubrandenburg
Jens Forkel, Hochschule Neubrandenburg
Jan-Hendrik Hempel, Bürgermeister Gemeinde Schmatzin
Anke Hollerbach, Biosphärenreservatsamt Schaalsee-Elbe
Wir nehmen auf jeden Fall eine Menge Arbeitsaufträge mit und freuen uns auf die nächsten Workshops am 4. und 5.März 2020 in der Gemeinde Schmatzin und dem Lassaner Winkel.
Seit September 2018 wird die Landinventur im Bereich
Bürgerwissenschaften vom BMBF gefördert – (fast) am Ende dieser reichlich 2,5
Jahre ist es Zeit für ein Fazit und Ausblick.
Für uns war der Besuch der Landinventur am Arbeitssitz
von Manuela Schwesig am Freitag, den 10. Januar einer der Höhepunkte und
eine wichtige Wertschätzung de Projektes. Dr. Heiko Geue, der Chef der
Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommerns, hatte uns nach Schwerin eingeladen. Vor
unserer mobilen Forschungsstation haben wir Ihm und anderen Interessierten aus
der Landesregierung die Landinventur vorgestellt und anschließend mit Nikolaus
Voss (Staatssekretär im Ministerium für Soziales, Integration und
Gleichstellung), Dr. Stefan Rudolph (Staatssekretär im Ministerium für
Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit) und Ina-Maria Ulbrich (Staatssekretärin im
Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung) mehr als eine
Stunde darüber diskutiert, wie die Leute in den Dörfern mithilfe der
Landinventur ihr Dorf beschreiben und was die Landespolitik aus den Daten der Bürger
lernen kann. Dass Leerstand kein großes Problem auf den Dörfern ist, hätte Herr
Geue beispielsweise nicht gedacht. Ergebnis des Gesprächs war, dass die
Landinventur helfen kann, Politik so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen
und Herausforderungen der Menschen auf den Dörfern mehr entspricht. „Wir
planen für die Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns bis 2030 einen großen
Beteiligungsprozess, bei dem wir gern die Landinventur einsetzen würden.“, so
der Chef der Staatskanzlei.
Damit sind wir gleich beim Ausblick. Das wichtigste: auch
wenn die Förderung endet, wollen wir die Landinventur unbedingt weiterführen. Ein
Weg den wir dabei beschreiten wollen, ist die Integration der Landinventur
in andere Planungs- und Beteiligungsprozesse. Dazu sind wir gerade im Gespräch
mit den Verantwortlichen für den oben genannten Beteiligungsprozess „Mein MV
2030“ und dem Team für den neuen Biosphärenreservatsplan Schaalsee. Auch die Kartierungsworkshops
in den Gemeinden gehen weiter: am 5.3.2020 sind wir im Lassaner Winkel
zu Gast und auch ein Termin für Rothen wird gerade gesucht. Über weitere Einladungen
freuen wir uns nach wie vor.
Darüber hinaus planen wir ganz konkrete Updates unserer
digitalen Plattform, die die Bedienung noch einfacher machen werden: eine
neue Startseite, die Integration von kurzen Filmen, welche sowohl die Themenbereiche
als auch den Prozess der Kartierung erläutern sowie die Möglichkeit, Links
einzufügen (z.B. zur Webseite des Dorfes oder einem Verein).
Schon jetzt gibt es eine neue Funktionalität: das
Dorfanalysetool. Damit können mehrere Dörfer ganz einfach miteinander verglichen
werden. Auf der Karte können bereits inventarisierte Dörfer dem Vergleich hinzugefügt
werden, der dann über das Symbol welches rechts oben auf der Karte erscheint,
aufgerufen werden kann.
Ansonsten haben wir noch eine Liste an Ideen, die ganz sicher
noch etwas weiter in der Zukunft liegen:
Die Landinventur auch auf Kleinstädte und große
Dörfer ausweiten. Dafür braucht es auch neue (kollektive) Erhebungsmethoden.
Neue Themenbereiche zu bearbeiten: als eine der
drängendsten großen Fragen unserer Zeit, wollen wir mehr über die Rolle von
Dörfern im Klimawandel erfahren und die Themen Natur und Landschaft in die
Erhebung einbeziehen.
Die räumliche Ausweitung: Wie können auch Dörfer
im Rest Deutschlands oder sogar Europas Teil der Erhebung werden? Wie müssen
wir dafür die Fragen und Antwortmöglichkeiten überarbeiten?
Ein Weiterbildungssystem für Dorfbotschafter*innen
als Multiplikatoren des Projektes und der Themen Regional-/Dorfentwicklung, lokales
Engagement und Beteiligungsprozesse
Diese Themen und vor allem die konkreten Themenbereiche Offene
Daten, Wissenschaftskommunikation und wie die quantitative,
sozialwissenschaftliche Auswertung der Daten gelingen kann, werden wir auf einem
intensiven Arbeitsworkshop am 26.2.2020 mit einer Runde von Gästen aus Wissenschaft,
Politik und Medien weiter diskutieren.
Also, wir haben noch viele Ideen und noch einiges an Arbeit vor uns und fangen lieber gleich damit an. Deswegen nur kurz der Blick zurück:
In den letzten zwei Jahren haben wir eine funktionierende digitale Plattform aufgesetzt, ein umfassendes Netzwerk von Menschen an der Entwicklung des Projektes beteiligt und die Bürgerwissenschaftler*innen haben mehr als 100 Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern kartiert. Wir haben gezeigt, dass Bürgerwissenschaften auch im sozialwissenschaftlichen Bereich funktionieren, und Maßstäbe in der ko-produktiven Entwicklung des Projektes und damit der Weiterentwicklung der Bürgerwissenschaften als Methodik und Wissenschaftsverständnis gesetzt. Von vielen Seiten wurde uns bestätigt, dass die Landinventur eine Lücke füllt: nämlich die Vielfalt und Heterogenität ländlicher Räume zu analysieren und zu thematisieren. Auch die Daten zeigen: Viele gängige Vorurteile über ländliche Räume treffen nicht zu und es lassen sich auch in vermeintlich peripheren ländlichen Regionen positive Entwicklungstendenzen aufzeigen. Darauf sind wir schon jetzt ziemlich stolz 😉
Inzwischen sind schon über 70 Dörfer kartiert und wir haben
uns daran gemacht, eine erste Auswertung zu wagen. Zwei Wochen haben wir die
Exceltabelle hin und her gewälzt, Daten aufgeräumt und Diagramme erstellt. Und
dann war es da: ein erster Vorgeschmack auf das „Durchschnittsdorf“ wie wir es
nennen.
Es zeigt sich, dass sich die Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern
in ihrer Entwicklung stabilisiert haben und in vielen Orten bereits wieder eine
leicht positive Bevölkerungsentwicklung wahrgenommen wird. Leerstand ist kein
großes Problem. Für uns war besonders überraschend, dass durchschnittlich 40% der
Leute nur am Wochenende auf den Dörfern sind. Unter denen, die sich im Dorf
engagieren, gibt es viele Zugezogene und Raumpioniere, aber die größte der
Gruppe der Engagierten bilden diejenigen, die sich als typische Dorfbewohner
sehen. Interessant ist auch, wieviele Menschen sich vor Ort engagieren (ein
Drittel), obwohl sie keinem Verein angehören. Wirtschaftsgrundlage ist nicht
mehr nur die Landwirtschaft, sondern die Menschen schaffen sich neue
(hauptberufliche) Arbeitszusammenhänge vor Ort. Und auch die Selbstversorgung
spielt immer noch eine wichtige Rolle auf dem Land, wenn mehr als die Hälfte
der Gärten noch zur Produktion von Obst und Gemüse genutzt werden.
Dieses erste Spielen mit den Daten ist für uns noch ein Test und die erste
Feuerprobe für die Landinventur: was zeigen die Daten und wie lässt sich damit
arbeiten? Wie können wir die Auswertung auf der die digitalen Plattform weiterentwickeln
– über die Darstellung der Dorfebene hinaus.
Ziel der ersten Datenauswertung war auch die Vorbereitung
und Durchführung eines Auswertungworkshops. Mit anderen Wissenschaftlern, Planern,
Medienleuten und Bürgerwissenschaftlern einen ganzen Nachmittag diskutiert: Was
lernen wir aus der Landinventur und wer kann was mit den Daten anfangen?
Einerseits hat die Landinventur Potential für andere
Wissenschaftler und andererseits sind die Daten eine wichtige Bestandsaufnahme für
die Gemeinden und Engagierten vor Ort. Hier ist nicht nur die Datenerhebung
wichtig, sondern vor allem die gemeinsame Diskussion der Ergebnisse und die
neuen Perspektiven, die sich daraus ergeben. Hierfür werden wir ein konkretes Veranstaltungsformat
entwickeln, was wir bald schon in Eixen und Rothen ausprobieren werden.
Was wir außerdem weiterverfolgen:
Integration anderer bereits vorhandener Datensätze
Ergänzungsmöglichkeiten für weitere Fragen/Themenblöcke
Grafische Auswertung auf Kartenebene und im
Vergleich verschiedener Dörfer
eine Datenstrategie zu entwickeln (OpenData)
die Ausweitung auf weitere Bundesländer (und
vielleicht sogar Europa?)
stärken der politischen Botschaft der
Landinventur
Gefreut haben wir uns über das positive Feedback zur
Landinventur, was die grafische Qualität und Nutzerfreundlichkeit der Plattform
angeht. Außerdem scheint die Landinventur ein Vorreiterprojekt in den sozialwissenschaftlichen
Citizen Science Projekten zu sein.