Jene stark machen, die andere mitreißen

Seitdem die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt Mitte 2020 an den Start ging, sind hohe Erwartungen aus der Zivilgesellschaft an sie geknüpft, insbesondere von den AkteurInnen im ländlichen Raum. Vorstand Jan Holze bremst: „Wir können nicht jedes Problem lösen – aber wir können in vielerlei Hinsicht helfen.“

Seitdem die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt Mitte
2020 an den Start ging, sind hohe Erwartungen aus der Zivilgesellschaft an sie geknüpft, insbesondere von den AkteurInnen im ländlichen Raum. Vorstand Jan Holze bremst: „Wir können nicht jedes Problem lösen – aber wir können in vielerlei Hinsicht helfen.“

Wer die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) besuchen möchte, muss in den Wald. Wenige Kilometer östlich von Neustrelitz, umgeben von Kiefern in einem ehemaligen Gebäude der DDR-Volkspolizei, das heute verschiedene öffentliche Verwaltungen beherbergt, hat die im Frühjahr 2020 neu gegründete Bundesstiftung ihren vorläufigen Sitz gefunden. Noch ist alles im Aufbau: Räume werden hergerichtet und bezugsfertig gemacht, gleichzeitig operativ gearbeitet – eine Baustelle auf einer Baustelle. 

Herr Holze, Sie haben erst im Juli 2020 gemeinsam mit Co-Vorständin Katarina Peranic die Arbeit aufgenommen. Aber es sieht so aus, als wäre schon eine Menge zu tun.

Jan Holze: Ja, so ist es. Wir haben bis zum Ende der Bewerbungsfrist für unser erstes Förderprogramm Anfang November mehr als 12.500 Anträge bekommen. Ich hatte die Mitarbeitenden am Anfang um eine Einschätzung gebeten und versprochen: Wer am nächsten an der Zahl der final eingegangenen Anträge dran ist, bekommt einen Eisbecher von mir. Schon nach kurzer Zeit waren die meisten raus aus dem Rennen.

Das Interesse an Ihrer Arbeit scheint groß.

Absolut. Aber nicht nur das, auch der Bedarf ist enorm. Das angesprochene Förderprogramm ist mehr als zehnfach überzeichnet. Abgesehen von den Anträgen sind viele Engagierte auf uns zugekommen, die uns einerseits ihre Vorhaben vorstellen wollten, aber auch wissen wollten, wohin es mit der Stiftung grundsätzlich geht. Das ist für uns ein sehr wichtiger Prozess, da wir die Stiftung bedarfsorientiert aufbauen wollen. Dabei helfen uns die vielen Gespräche, aber auch die vielen Anträge, um einen bestmöglichen Überblick zu erhalten, wo was gebraucht wird. Nur so können wir unsere Unterstützungsformate konkret auf die Bedarfe hin ausrichten. Das so etwas funktioniert, zeigt unser Förderprogramm, wo wir genau in diesem Sinne vorgegangen sind – erst befragen und dann handeln. 


DSEE in Kürze

Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) wurde am 25. März 2020 per Gesetz von der Bundesregierung als eine Stiftung des öffentlichen Rechts des Bundes gegründet und hat ihren Sitz in Neustrelitz (M-V). Sie wird insbesondere von drei Bundesministerien getragen: BMFSFJ, BMI und BMEL. Stiftungszweck ist laut Satzung „die Stärkung und Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamts insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Räumen im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes“. Die Rechtsaufsicht obliegt dem BMFSFJ. Der Stiftungsrat aus 19 Mitgliedern, u. a. drei Bundesminister, hat sich am 11. November 2020 konstituiert. Das DSEE-Team umfasst derzeit 17 Angestellte, soll aber perspektivisch auf 75 aufgestockt werden. Mehr unter: 

deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de


Lässt sich clustern, woher die Anträge kamen?

Das war einem ständigen Wandel unterzogen. Je nachdem, wo das Programm aktiv kommuniziert wurde, konnten wir teilweise direkt am Tageseingang erkennen, dass zum Beispiel offenbar in Rheinland-Pfalz gerade über uns gesprochen wurde. Unterm Strich konnten wir das gesamte Bundesgebiet abdecken. Wir hatten zuvor die Sorge, dass nur Anträge aus dem Nahbereich eingehen. Die Sorge war unbegründet. Unsere Existenz hat sich in ganz Deutschland herumgesprochen.

Kamen mehr Anträge aus Städten oder vom Land?

Ein sehr großer Anteil kam aus den ländlichen Räumen. Das deckt sich mit unserem Stiftungszweck, nach dem wir uns insbesondere den strukturschwachen und ländlichen Räumen widmen sollen.

Warum die Konzentration auf den ländlichen Raum? Ist in den Städten alles gut?

Nein, Engagement birgt überall seine spezifischen Herausforderungen. Aber ich glaube schon, dass die Schwierigkeiten in den ländlichen Räumen noch andere sind, auch was die Unterstützungsmöglichkeiten angeht. Man kann dort eben nicht so einfach mal zum Autohaus, zur Sparkasse oder zu anderen lokalen Unternehmen nebenan gehen und um Unterstützung für sein Vorhaben bitten. Da gibt es in größeren Städten andere Möglichkeiten, ja überhaupt per se Möglichkeiten. Eine weitere besondere Hürde ist die mangelnde Mobilität, die einfache Zusammenkünfte erschwert – und hier rede ich nicht von Corona. Diesen AkteurInnen in den ländlichen Räumen wollen wir uns intensiv widmen und unsere Programme entsprechend den Bedarfen vor Ort ausrichten. Dabei werden wir die Städte natürlich nicht aus dem Blick verlieren.

Sie haben 30 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung …

Ja, das hat der Deutsche Bundestag so beschlossen. Jedes der drei beteiligten Bundesministerien unterstützt uns mit jeweils zehn Millionen Euro aus ihrem Haushalt.

… abzüglich der Personal-, Verwaltungs- und sonstigen Kosten. Wie viel Geld bleibt da für die Förderprogramme übrig?

Es sind nicht nur die Förderprogramme, mit denen wir das Ehrenamt stärken. Wir werden in vielfacher Hinsicht unterstützend tätig sein, ob über Beratungs-, Vernetzungs-, Service- oder Finanzierungsprogramme. Auch das dafür eingesetzte Personal leistet konkrete Hilfe für das Ehrenamt.

Wir wollen und
werden das Ehrenamt
in jeder Hinsicht
stärken und fördern.

Jan Holze, Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement

Die DSEE ist als also nicht nur eine fördernde Stiftung?

Wir wollen und werden das Ehrenamt in jeder Hinsicht stärken und fördern. Dabei können wir sowohl operativ – mit Beratung, Service, der Organisation von Fortbildungen und Tagungen –, als auch fördernd – im Rahmen von Förderprogrammen – tätig sein. 

Der Erfolg mit dem ersten Förderprogramm zeigt, wie hoch der Bedarf an Kapital ist. Soll es auch Zustiftungen geben?

In unserem Errichtungsgesetz ist explizit festgehalten, dass wir berechtigt sind, auch private Mittel mit einzubinden. Die Erfahrung aus meiner fünfjährigen Tätigkeit bei der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern ist, dass so etwas Zeit und Vertrauen braucht. Nicht nur, dass die Zivilgesellschaft und die Politik Vertrauen in diese Stiftung aufbauen, sondern auch die Wirtschaft, um gemeinsam mit uns für die Zivilgesellschaft tätig zu werden.

Haben Sie Schwerpunkte im Bereich der Zivilgesellschaft, die Sie ansteuern?

Nicht im Hinblick darauf, welche Form des Engagements wir unterstützen. Wir sind für die gesamte Breite der Zivilgesellschaft zuständig und wollen keine Wertung vornehmen, ob ein Ehrenamt eine höhere Relevanz hat als ein anderes. Uns geht es darum, dass sich Leute überhaupt engagieren und mit ihrem Engagement, das natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes fußen muss, zum Gemeinwohl und Zusammenhalt beitragen. Das können auch Menschen in vereinsungebundenem Ehrenamt sein, die sich in Initiativen bewegen, in großen Verbänden, Stiftungen oder kleinen Vereinen.

Gibt es aus dem Bereich der Zivilgesellschaft auch Gegenwind?

Es gab vor der Stiftungsgründung massiven Gegenwind. Einerseits wurde die Frage gestellt: Es gibt ja schon Strukturen in der Zivilgesellschaft, auch Beratungsstrukturen, warum also noch einen Player danebensetzen? Und zum anderen wurde gefragt, warum man Mittel nicht direkt über die vorhandenen Strukturen vergeben will. Ich glaube aber, dass wir mit dem jetzt gewählten Modell einen konkreten Mehrwert bieten können, weil es auf Bundesebene eben noch kein strukturübergreifendes Kompetenz- und Service-Zentrum für das Ehrenamt gibt. Ich sehe uns dabei in einer Art Scharnierfunktion zwischen Öffentlicher Verwaltung und der Zivilgesellschaft.

Was heißt das konkret?

Wir wollen beide Seiten zusammenbringen. Einerseits wollen wir die Belange und Wünsche der Zivilgesellschaft in die Kanäle der Politik sowie der öffentlichen Verwaltung hineintragen. Andererseits wollen wir für Verständnis werben, dass es deshalb einen rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmen braucht, um Begünstigungen wie die Gemeinnützigkeit oder Fördermittel in Anspruch nehmen zu können. Wir hoffen, dass wir in Zukunft hier Vereinfachungen hinbekommen, etwa im Hinblick auf Steuererklärungen oder die DSGVO. Die Stiftung wird auch einen Mehrwert dahingehend liefern, hochprofessionelle juristische Beratung anzubieten, die in Verbänden oder anderen Beratungsstellen nicht abbildbar sind.

Abgesehen von der Beratung: Welche Förderprogramme sind in der Pipeline?

Wir wollen nicht jedes Jahr eine neue Kuh durchs Dorf treiben, sondern ein verlässlicher Partner sein. Einer unserer Schwerpunkte ist die Strukturstärkung, die nicht funktionieren wird, wenn man sich jedes Jahr ein neues Thema ausdenkt – man also versucht, etwas am Anfang des Jahres starkzumachen und am Ende des Jahres wieder fallen lässt. Wir müssen stattdessen langfristig angelegte Programme auflegen.

Was ist 2021 konkret geplant?

Wir bauen ein Zentrum für die Strukturstärkung in ländlichen Räumen auf, aber auch ein Servicezentrum als zentrale Anlaufstelle für Engagement und Ehrenamt sowie ein Kompetenzzentrum, das Themen identifiziert und Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt. Zudem werden wir Programme für fortwährende Bedarfe in der Zivilgesellschaft auflegen, Stichwort Digitalisierung. Allerdings muss das Rad nicht immer neu erfunden werden. Es gibt schon ganz tolle Vorhaben und Entwicklungen, denen wir gern zu mehr Bekanntheit und einer höheren Nutzung verhelfen wollen. Schließlich finde ich, dass eine Stiftung auch dafür da sein muss, Dinge auszuprobieren und auch mal scheitern zu können.

Scheitern ist in Anbetracht von Steuermitteln nicht gern gesehen …

Es muss doch möglich sein, dass Menschen, die sich freiwillig und unentgeltlich engagieren, auch mal experimentieren können. Und da muss es eine Stelle geben, die das auch unterstützt und ein Signal der Anerkennung sendet. Wir wollen einen wertschätzenden Umgang pflegen, der es ermöglicht, dass Leute auch zukünftig Lust haben sich zu engagieren.

Um auch junge Menschen fürs Ehrenamt zu begeistern?

Der dritte Engagementbericht des Bundesjugendministeriums zeigt, dass es unter Jugendlichen durchaus angesagt ist sich zu engagieren. Die Herausforderung sehe ich also nicht in der Bereitschaft, sich zu engagieren, sondern woanders: Der rechtliche Rahmen des Vereinsrechts ist schon über 100 Jahre alt und an der einen oder anderen Stelle zu starr. Wir brauchen einerseits auf der Ebene der Organisationen die Bereitschaft, neue Strukturen so zu schaffen, damit auch kurzfristige, flexible Einsatzfelder möglich sind. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich Menschen motivieren, sich dauerhaft in Strukturen zu engagieren, sodass sie durch ein kurzfristiges Engagement die Bereitschaft entwickeln, sich dauerhaft zu binden.

Wie kann das gehen?

Es ist notwendig, dass wir diejenigen, die sich engagieren wollen und diejenigen, die andere mitreißen, stark machen und unterstützen, indem wir ihnen immer wieder Anerkennung und Wertschätzung zuteilwerden lassen. Das kann manchmal der Euro sein, manchmal ein Kontakt, manchmal die rechtliche Beratung oder das Fortbildungsangebot. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir für sie da sind, damit sie selbst sich auf ihr Engagement konzentrieren und andere mitreißen können.

Sehen Sie da unterschiedliche Herausforderungen im ländlichen Raum und in Metropolen?

Ja. In ländlichen Räumen sind die Wege buchstäblich weiter. Weiter, um sein Engagement auszuüben und weiter, um Unterstützung zu erhalten. Zudem gibt es nicht überall die Anpacker, die Mitreißer, die für ein buntes Vereinsleben gerade in Dörfern und kleinen Gemeinden sorgen, die das Sommerfest und das Weihnachtssingen organisieren. Es muss uns deshalb gelingen, jene Leute zu identifizieren, die solch eine Rolle übernehmen könnten. Und diese Anpacker und Mitreißer wollen wir für ihr Engagement vor Ort qualifizieren, motivieren und wenn gewünscht auch begleiten.

Genau das ist der Ansatz des Programms der Neulandgewinner, das seit Jahren Akteure im ländlichen Raum Ostdeutschlands ermächtigt. Wird es da zu einer Zusammenarbeit kommen?

Ich schätze das Programm sehr. Viele der Initiativen, die ich kenne – gerade in Mecklenburg-Vorpommern – sind wunderbare Beispiele dafür, wie Engagement vor Ort funktionieren kann. Eine Zusammenarbeit – in welcher Form auch immer – wäre aus meiner Sicht sehr wünschenswert.

Wäre es nicht gemäß Ihrem Ansatz klug, dass man genau diese AkteurInnen und ihre Projekte fördert?

Im ersten Schritt wäre es wichtig, mit diesen bestehenden Netzwerken zusammenzuarbeiten. Das sind alles Akteur-
Innen, die Erfahrungen haben und uns deshalb hilfreiche Tipps und Ratschläge geben können. Wir müssen uns jedenfalls immer wieder selbst überprüfen, ob wir mit unseren Angeboten auch die Bedarfe vor Ort treffen. Da sind Akteur-Innen, wie die NeulandgewinnerInnen, gute Gradmesser, die wir andererseits in Ihren Bedarfen auch unterstützen sollten. 

Wird denn ein Fokus Ihrer Arbeit speziell auf Ostdeutschland liegen?

Unser Stiftungszweck ist die Stärkung und Förderung des Ehrenamts und bürgerschaftlichen Engagements in ganz Deutschland. Aber: Die Statistik zeigt, dass es im Osten nach 30 Jahren immer noch nicht gelungen ist, die Zahlen tatsächlich anzugleichen. Da muss es also irgendwo einen Knackpunkt geben. Und insofern sehe ich für uns einen natürlichen Auftrag darin, uns diese Regionen gesondert anzuschauen. Aber es gibt auch in den alten Bundesländern Gegenden, in denen Herausforderungen bestehen. Die Erwartungshaltung darf nicht sein, dass wir jedes gesellschaftliche Problem überall im Land lösen können, aber wir können in vielerlei Hinsicht helfen. Das Ziel muss sein, dass jeder, der sich an uns wendet, in irgendeiner Form und im Rahmen des Möglichen Unterstützung erhält. Das muss nicht alles die Stiftung selbst leisten können, nicht jeder Euro für einen Verein muss unser Eigener sein. Wir können auch vermitteln. Wichtig ist, dass die Leute mit Herz und Hand dabei sind. Und wenn sie das sind, dann unterstützen wir sie gerne.


Fotograf: Nils Hasenau

Jan Holze

Er ist ein Kind der Gegend: Sein Elternhaus liegt nur 20 Kilometer von Neustrelitz entfernt. „Ich kenne die Gegend wie meine Westentasche“, sagt der 40-Jährige. Jan Holze studierte BWL und Jura an den Universitäten Rostock, Moskau, Nantes, Frankfurt/M. und Münster. Bevor er Vorstand bei der DSEE wurde, war er Geschäftsführer der Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg-Vorpommern und ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Sportjugend. 

Katarina Peranic

DSEE-Vorständin Katarina Peranic ist zertifizierte Stiftungsmanagerin und hat Politikwissenschaft in Marburg und Berlin studiert. Katarina Peranic war acht Jahre lang Vorständin der Stiftung Bürgermut und hat dort verschiedene Programme an der digital-sozialen Schnittstelle umgesetzt. Ihre Kernthemen sind die Unterstützung engagierter BürgerInnen bei der Vernetzung, dem Wissenstransfer und der Digitalisierung.

Interview: Thomas Friemel

„Ehrenamt verteilt sich auf wenigen Schultern“

Julian Barlen, SPD-Generalsekretär Mecklenburg- Vorpommerns, über die Ehrenamtstiftung des Landes, bürgerschaftliche Partizipation durch Würfel-Spiele und warum Storch Heinar gerne Eierlikör trinkt.

Julian Barlen, SPD-Generalsekretär Mecklenburg-Vorpommerns, über die Ehrenamtstiftung des Landes, bürgerschaftliche Partizipation durch Würfel-Spiele und warum Storch Heinar gerne Eierlikör trinkt.

Wir treffen Julian Barlen in Schwerin. Großer Mann, fester Händedruck, eine sonore Stimme. Seit Mai 2018 ist er der Generalsekretär des Landesverbands der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, zuvor war er von 2011 bis 2016 und ist seit Mai 2019 wieder Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Der 39-Jährige ist in Mettingen (Nordrhein-Westfalen) aufgewachsen und gelernter Hotelkaufmann und studierter Volkswirt, heute widmet er sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus und der Gesundheitspolitik. Über die korrekte Aussprache seines Nachnamens sagt er, dass einige auf der ersten Silbe, andere auf der zweiten betonen. Richtig aber ist: auf beiden Silben. „So wie: Der an der Bar lehnt. Nur ohne H und T.“ Hätten wir das also auch geklärt.

Herr Barlen, Sie sind Eierlikör-Beauftragter von Storch Heinar. Das müssen Sie erklären.

Storch Heinar ist ein Satireprojekt, das wir hier 2008 gegründet haben, um auf eine humoristische Weise etwas gegen rechtsextremen Lifestyle zu tun. Die Neonazis versuchen durch Bekleidung, Musik und Freizeitaktivitäten eine politische Botschaft zu transportieren. Wir haben festgestellt, dass konventionelle Mittel der politischen Bildung nicht dazu führen, die Bevölkerung positiv zu sensibilisieren. Da kam die Idee einer kritischen Gegenöffentlichkeit durch Storch Heinar. Das reimt sich auf Thor Steinar, eine in rechtsextremen Kreisen beliebte Modemarke. Und Storch Heinar steht eben für Demokratie und Frieden und Fröhlichkeit, verfügt über eine eigene Kapelle und eine eigene Modelinie. Und weil er ein Storch ist und ein großes Ei hat, mag er natürlich gerne Eierlikör. Und irgendjemand muss sich ja darum kümmern.

Kümmern Sie sich auch ums Land?

Mecklenburg-Vorpommern ist ein ländliches Bundesland und in der Eigenschaft als Abgeordneter sind wir in allen Regionen des Bundeslandes unterwegs, dementsprechend auch viel auf dem Land. Die SPD hat 92 Ortsgruppen, die im ganzen Land verteilt sind, entsprechend bin ich ständig auf dem Land unterwegs. 

Sie sind zuständig für Gesundheitspolitik. Wie gesund ist denn das Land Mecklenburg-Vorpommern – im übertragenen Sinn?

Ich habe den Eindruck, dass sich die Stimmung im Land in den vergangenen Jahren verbessert hat. Das ist meine persönliche Wahrnehmung. In einer großen Umfrage zur Zufriedenheit haben 93 Prozent gesagt, dass sie gerne in Mecklenburg-Vorpommern wohnen. Das belegt ja eine gewisse Zufriedenheit ganz grundsätzlicher Art. Menschen empfinden ihre persönliche Situation als glücklich und lebenswert, wenn es Gemeinschaft gibt und wenn man das Gefühl hat, vor Ort mit anderen Menschen etwas bewirken und verändern zu können. Auch da, finde ich, hat sich in den vergangenen Jahren viel getan.

Hat die Regierung daran ihren Anteil?

Ja. Wir haben zum Beispiel schon 2015 die Ehrenamtsstiftung eingeführt. Die Kommunen sollen die Stiftung als Partner und Impulsgeber sehen, um Mitmachzentralen zu schaffen, in denen Menschen erfahren können, was es eigentlich in dem Bereich vor Ort gibt, wo man sich einbringen kann und wo man gegebenenfalls auch Mitstreiter findet. Außerdem bietet die Stiftung Rechts- und Fundraising-Beratung an, aber auch Angebote zur Weiterbildung und Vernetzung. Zudem wird niedrigschwellig materiell gefördert.

Was heißt das?

Ein Beispiel: Die Initiative vor Ort hat eine Idee, kriegt aber die Raummiete nicht gestemmt, genau für solche Fälle gibt es dann die Ehrenamtsstiftung. Wir reden hier also nicht von Landes- und Kreisebenen. Engagement findet immer an spezifischen Orten statt, in der Nachbarschaft, im Verein, im Dorf. Ein lebenswertes Dorf hat immer eine vitale Gemeinschaft, die was auf die Beine stellt. Und dann ist es egal, ob das ein Osterfeuer, die Herbstaktion oder ein Sportfest ist.

Das passiert nicht einfach so.

Dazu braucht es viele. Ein aktiver Landfrauenverein, eine gute Feuerwehr, ein Sportverein, bis hin zu gewerkschaftlichen, politischen und kirchlichen Engagements. Und natürlich den Bürgermeister als den geborenen Ehrenamts-Manager, der ein lebendiges Gemeinwesen aus ureigenem Interesse verfolgt. Wenn es einen positiven Impuls für die Entwicklung von Dörfern, von Siedlungen und Regionen geben soll, dann hat das auch immer etwas mit dem Engagement der dort Lebenden zu tun.

Sie zeichnen ein Land der Lebendigkeit. Die Realität sieht oft anders aus.

Ich habe nicht gesagt, dass es das überall auch gibt. Aber das Bewusstsein hat sich geschärft. Gerade da, wo sich kleinere Dörfer positiv entwickeln, hat es immer auch mit dem Ehrenamt und Engagement zu tun. Wenn sich keiner kümmert, dann gibt es auch diesen Impuls nicht. 

Es gibt Engagierte, die weit über das normale Maß zum Beispiel als Trainer auf dem Fußballplatz hinaus aktiv sind. Dort beklagt man die fehlenden finanziellen Mittel. 

Das Ehrenamt in Mecklenburg-Vorpommern verteilt sich auf wenige Schultern, die dann alles machen. Wir als Politik müssen insbesondere die Engagement-Bereitschaft heben. Da gibt es mit der Ehrenamtsstiftung einen zentralen Ansprechpartner. Weitere Stichworte sind die erwähnten Mitmachzentralen, die Ehrenamtskarte und der Ehrenamtspreis. Das Thema Ehrenamtsförderung bleibt also oben auf der politischen Agenda. 

Wenn sich mehr Menschen engagieren, profitieren davon auch die Parteien?

Es müssen nicht alle gleich in die Politik gehen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass oft bemängelt wird, dass die Politik nicht vor Ort ist. Ich habe folgendes festgestellt: Wenn sich in einem Dorf niemand für die SPD engagiert, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch niemanden von der CDU gibt, niemanden von der Linken, niemanden von einer anderen Partei. Und es fällt auf, dass es dann auch insgesamt weniger Engagierte gibt.

Woran liegt das?

Wenn Leute sich in ganz vielen Bereichen engagieren und einen gemeinschaftlichen Willen bilden, ist das ein politischer Akt. Und dann ist der Schritt in eine der Parteien nicht mehr weit. Aber das muss nicht sein. Politik ist nicht etwas ganz Anderes als das, was engagierte Menschen vor Ort machen.

Viele der Engagierten finden sich aber mit ihrem allgemeinen politischen Engagement vor Ort trotzdem nicht wider.

Die Frage ist, wie man unterschiedliches Wollen zum Ausgleich bringt. Dafür sind in unserer parlamentarischen Demokratie politische Parteien vorgesehen. Aber natürlich gibt es Bürgerinitiativen und andere, die auch gehört werden und sich einbringen können. Es gibt für viele Fragen bereits Orte, die man dafür nutzen kann. Hinzu kommt, dass viele Menschen aufgrund der Erfahrungen in der DDR eine gewisse Aversion gegen Parteien haben. Die können ihre Engagementbereitschaft auf eine andere Art und Weise ausleben.

Glauben Sie, dass die Ehrenamtsstiftung dieses Potenzial heben kann?

Ja. Mit der Ehrenamtsstiftung erzielen wir eine große, große Reichweite. Politische Entscheidungen müssen sich daran messen lassen, was öffentliches Geld bewirkt. Da kann sich die Bilanz der Ehrenamtsstiftung und auch der Mitmachzentralen durchaus sehen lassen. 

Wir reden viel vom Ehrenamt. Was aber ist mit Menschen, die zum Beispiel den lokalen alten Güterbahnhof in ein Kulturzentrum verwandeln wollen? Das passiert meistens zunächst ehrenamtlich, ehe das Projekt zu groß wird und man aus dem Engagement eine unternehmerische Tätigkeit machen muss. Fallen diese Menschen nicht durchs Raster?

Nicht unbedingt. So wie ich das verstehe, haben wir es dann doch mit der klassischen Startup-Förderung zu tun. Bei der Finanzierung gibt es zum Beispiel die GLS Bank, die dann solche Projekte anders bewerten als herkömmliche Banken und den Businessplan nicht nur nach klassischen Profit-maximierenden Kriterien abklopfen. Konventionelle Banken zucken sicher eher mit den Achseln.

Und wenn Banken keine Option sind?

Vielleicht brauchen wir für diese Menschen andere Förderinstrumentarien. Für mich kann ich sagen: Ich finde das ganz hervorragend, wenn Leute das Thema gemeinschaftliches Engagement auch wirtschaftlich noch weiterdenken im Sinne von Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung. Dafür habe ich viel Sympathie. Da müsste man die bestehenden Förder-Potenziale bündelt und sichtbar machen, denn es gibt ja eine Menge: Kultur-, Raumentwicklungs-, Wirtschafts- und Startup-Förderung. Ich glaube, man sollte zunächst einmal schauen, dass man für Social Entrepreneurship die bestehenden Angebote besser zugänglich und sichtbarer macht. Bei alldem muss man aufpassen, dass unter dem Siegel von unternehmerischen Engagement nicht demokratiefeindliche Aktionen gefördert werden.

Ein gutes Stichwort. In Ihrem Kommunalwahlprogramm Anfang 2019 heißt es, dass sich die SPD für „Elemente direkter Demokratie“ einsetzen will, damit Menschen sich „in die Gestaltung des öffentlichen Lebens und ihres (Wohn-)Umfeldes einbringen können“. Was planen Sie?

In Rostock zum Beispiel gibt es Orts- und Stadtteilbeiräte, in denen Bürgerinnen und Bürger sich regelmäßig treffen und ein institutionalisiertes Mitspracherecht haben, beispielsweise bei Bauvorhaben. Da müssen wir noch viel mehr Werbung machen, dass es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen mit Themen, die vor der eigenen Haustür passieren.

Wie soll die Werbung denn aussehen? 

Politik und Verwaltung müssen gucken, ob die bestehenden Instrumente geeignet sind. Der Aushang oder das Amtsblatt in der Vitrine hinter der Säule – warum pilgern die Leute nicht in Scharen hin?! Wir brauchen also einfachere Zugänge. Ich habe zum Beispiel einen ‚Rostocker Würfel‘ vorgeschlagen, einen Würfel mit zwei Meter Kantenlängen. Wenn immer der vom Amt irgendwo abgeladen wird, dann weiß jeder: Pass auf, hier passiert was! Dann kann ich in den Würfel gehen und mir dort den Bauplan und die Anmutung ansehen. Vielleicht kann man sogar buzzern, ob einem das gefällt.

Setzen Sie ihn um?

Ich habe leider noch niemanden gefunden, der das für mich macht. Aber ich bleibe da dran.

Interview: Thomas Friemel, Andreas Willisch

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