- Ausgabe 05 / 2022
- geschrieben von Sven Heitkamp
Im Frühsommer 2016 steht der ehemalige Investmentbanker Benedikt Bösel auf seinem sandigen, heißen Boden im Osten Brandenburgs und stellt fest, dass er in dieser Dürre keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Dass seine Landwirtschaft, die er von seinem Stiefgroßvater Graf Finck von Finckenstein geerbt hat, angesichts des Klimawandels keine Zukunft hat – wenn Bösel keinen Boden gut macht. Und so krempelt Bösel, inzwischen 37, die Ärmel hoch – und seine 3000 Hektar Land Stück für Stück um.
Das Schlossgut Alt Madlitz, malerisch gelegen zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder, ist heute ein innovativer ökologischer Agrar- und Forstbetrieb, der so einige traditionelle Anbaumethoden auf den Kopf stellt. Benedikt Bösel, nun auch studierter Agrarökonom, probiert gemeinsam mit Experten und Pionieren neue regenerative Methoden der Landnutzung aus – sie gehen weit hinaus über eine ökologische Landwirtschaft. Unter der Dachmarke „Gut & Bösel“ firmieren neben dem zertifizierten Biobauernhof auch ein Forst- und Jagdbetrieb mit Wildäsungsflächen und Ruhezonen, eine Baumschule und ein Forschungsbereich. Doch im Zentrum all dessen steht: ein gesunder Boden, der wieder lebt und Feuchtigkeit speichert.
Wo neues Wissen nach draußen getragen wird
Die Kreisläufe schließen
In einer sechs- bis siebenteiligen Fruchtfolge wird auf Gut Madlitz Getreide wie Dinkel, Weizen, Hafer, Gerste und Roggen angebaut, dazwischen wachsen auf den Feldern Leguminosen wie Luzerne, Klee und Lupine. Sie binden den Stickstoff aus der Luft in der Erde – und verbessern so die Qualität des Bodens. Die 150 Angus- und Salers-Rinder des Hofs stehen nicht eingezäunt auf der Weide, sondern auf begrasten Ackerflächen; diese Methode fördert das Wurzelwachstum der Gräser und stärkt das Bodenleben. Die Herde wird stets weiterbewegt und verbringt dabei das ganze Jahr draußen – im Winter frisst das Vieh die aufgehende Untersaat der Felder, auf denen zuvor Wintergetreide geerntet wurde. „Durch diese Art der Beweidung und Bepflanzung bauen wir den Boden wieder auf und schließen unsere Kreisläufe“, sagt Bösel.
Doch das ist längst nicht alles, was Bösel verändert hat. Auf 60 Hektar erforscht das 30-köpfige Bösel-Team verschiedene sogenannte Agroforst-Systeme und führt mit externen Partnern Langzeitstudien durch. Das Agroforst-Konzept sieht vor, lange Baum- und Sträucherreihen bewusst dorthin zu pflanzen, wo sich früher endlose Äcker dehnten. Mit der Absicht: Bäume und Sträucher reichern den Boden an, beschatten die Felder, verbessern das Mikroklima und verringern die Winderosion. Bösel hat gute Erfahrungen mit der Methode gemacht – und sie gleich auf seinen Äckern eingesetzt.
Bodendegradierung aufhalten
Der ehemalige Investmentbanker Benedikt Bösel sieht sein Gut Madlitz als Reallabor.
Ort des Austausches
Die Jungbäume dafür stammen aus der hauseigenen Baumschule. Dort werden Obst- und Nussbäume gezüchtet, die mit den sandigen Lausitzer Böden und den sich ins Extreme wandelnden Klimabedingungen besser zurechtkommen als ältere Sorten. Gemeinsam mit Maschinenbau-Experten entwickelt Benedikt Bösel sogar neues Gerät, wenn das handelsübliche für die Ideen nicht mehr passt. „Wir sind ein Reallabor für multifunktionale Landnutzungssysteme“, sagt er, „wir wollen die Bodendegradierung aufhalten, Humus aufbauen, die Biodiversität fördern, den Nährstoffgehalt der Lebensmittel steigern und mehr CO2 und Wasser im Boden speichern.“
In all diese Überlegungen fließt viel traditionelles Wissen aus heißeren Gegenden der Erde ein – es soll der Lausitz und anderen Regionen helfen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Gut & Bösel versteht sich als einen Ort des Austauschs – er steht Wissenschaftlerinnen, Start-ups aus dem Agrar- und Forstbereich ebenso wie allen anderen Interessierten offen. 30 Praktikumsplätze sollen dazu beitragen, neues Wissen nach draußen zu tragen. „Wir wollen zeigen: Landwirtschaft ist sehr viel mehr als nur die Produktion von Lebensmitteln“, sagt Bösel. „Landnutzung ist der Schlüssel, um viele der drängendsten Probleme unserer Zeit zu lösen – vom Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt bis hin zu Hunger und Chancengleichheit.“
Klein Jasedow - ein Ort für enkeltaugliches Leben
Vor 25 Jahren zieht der Öko-Pionier Johannes Heimrath mit seiner intentionalen Gemeinschaft aus Oberbayern nach Klein Jasedow – damals ein aussterbendes Dorf an der Küste vor Usedom. Sie wollen gemeinschaftlich, ökologisch und sozial zusammenleben und arbeiten. Und ihr Plan geht auf: Mehr als 30 Menschen zwischen 2 und 80 Jahren leben heute diese Idee. „Wir sind eine der ältesten intentionalen Gemeinschaften in Deutschland“, sagt Heimrath, inzwischen 69 Jahre alt. „Und wir sind die einzigen aus den 70er Jahren, deren Gründungspersonen nach mehr als 45 Jahren nach wie vor in Frieden und Freundschaft zusammenleben.“
Dank ihnen ist aus Klein Jasedow über die Jahre ein Ort der Vielfalt geworden, der unterschiedlichste Lern- und Lebensangebote, Interessen und Unternehmen miteinander vereint: Unter dem Dach der selbst gegründeten Europäischen Akademie der Heilenden Künste veranstaltet das „Klanghaus am See“ Weiterbildungsstudiengänge, Kurse, Tagungen und Kulturangebote, der Drachen-Verlag publiziert Bücher zum Verhältnis von Mensch und Natur, die Zeitschrift Oya widmet ihre Texte dem enkeltauglichen Leben und die genossenschaftliche Manufaktur Kräutergarten Pommerland vertreibt teils selbst angebaute Teegetränke. In einem Fachwerk-Gebäude mit Lehm, Stroh und Naturstein werden Zirkuscamps für Kinder und Workshops für Jugendliche zu Naturerfahrungen ausgerichtet. Auch ein Naturkindergarten, eine Freie Schule und ein Mehrgenerationenhaus sind in dem einst fast verfallenen Dorf entstanden.
In Klein Jasedow gibt es nicht nur ein Baumfeld mit Esskastanien (Foto), sondern auch die Prinzipien von Agroforst und Gründüngung zu bestaunen und zu lernen.
Johannes Heimrath, eigentlich studierter Musiker, international erfolgreicher Gong-Bauer und
ehemals stellvertretender Bürgermeister, hat sich derweil als Bauer neu erfunden: Er widmet sich auf 35 Hektar Ackerflächen unterschiedlichen Formen ökologischer Landwirtschaft wie Agroforsten und Gründüngung. „Wir versuchen, den Boden zu verstehen und sehen uns als Versuchsort für neue Anbauformen und Fruchtfolgen“, sagt Heimrath. „Der Boden ist die Quelle, von der wir leben, und mit der wir uns verbunden fühlen.“ Daher kämpft der Aktivist mit seinen Initiativen „Ackergifte? Nein Danke!“ und dem „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“ auch seit langem gegen Pestizideinsatz an.
Bei alldem kommen die Klein Jasedower mit wenig Geld aus. „Wir ernähren uns zu einem großen Teil von unserem Anbau und den eigenen Tieren“, sagt Heimrath. Jungen Menschen, die sich in diesen Lebens- und Landwirtschaftsthemen orientieren wollen, bietet die Gemeinschaft Praktika für einige Wochen oder gar Monate an. „Das ist für beide Seiten ein wichtiger Knowhowtransfer“, sagt Heimrath. „So verstehen wir uns als Lernort.“
Himmelsort für eine Öko-Gärtnerei
Nebelschütz in Ostsachsen, das heißt: der Himmel. So lautet die Übersetzung des sorbischen Ortnamens Njebjelčicy, und es scheint so, als ob die Menschen hier den Himmel auf Erden tatsächlich schaffen wollen. Sie geben alles, um ihr Gemeindeleben enkeltauglich zu gestalten, richten Öko-Allmenden ein und Bildhauerwerkstätten aus, sie betreiben eine Öko-Kita und produzieren mit Sonne, Wind und Biogas dreimal soviel Energie wie sie benötigen. Thomas Noack nennt sein Nebelschütz eine „Revoluzzer-Gemeinde“ und zählt selbst zu den Revoluzzern: Der 59-jährige Geologe ist Permakultur-Berater der Gemeinde und Geschäftsführer der kleinen Unternehmung „Permagold Oberlausitz“, eine schnell wachsende Gärtnerei mit sieben Leuten, sechs Hektar Land und einem Lausitzer Bio-Höfeladen.
Beim alten Steinbruch Miltitz am Ortsrand von Nebelschütz bauen sie seit zwei Jahren mit einer Handvoll Kolleginnen und Kollegen verschiedene Tomatensorten und Bautzener Kastengurken an, daneben Mangold und Portulak, Kohl, Fenchel und Salate, dazwischen Wein und anderes Obst. Kürzlich haben sie 200 Maulbeeren-Sträucher gepflanzt, für die Bio-Seidenraupen-Zucht, die gerade entsteht. Und dank ihrer 25 Bienenstöcke haben sie dieses Jahr schon ihren ersten Honig geerntet.
Der Anbau läuft nach Permakultur- und Agroforst-Prinzipien, um ein regeneratives Ökosystem zu schaffen: in mehrjährigen Mischkulturen mit Beerenhecken und Büschen, Nuss- und Obstbäumen dazwischen. Der Boden wird nicht umgegraben, sondern gemulcht. Gedüngt wird mit Gesteinsmehlen, Pflanzenkohle und Kräuterjauchen. „Wir wollen einen fruchtbaren, nachhaltigen Boden aufbauen“, sagt Thomas Noack. Hin und wieder haben sie Gruppen von Kindern und Jugendlichen zu Besuch, um ihnen von der Gartenarbeit zu erzählen. „Wir sind ein Lehr- und Lernort für Permakultur“, sagt Noack. Gewinne wollen sie mit ihrem Geschäft nicht anhäufen, sich aber ökonomisch selbst tragen und ihre Träume verwirklichen können: größere Flächen, mehr Märkte, mehr Lebensmittelprodukte wie Kräutersalz und Fruchtessig, dazu Hühner auf den Streuobstwiesen.
Für ihre Projekte haben sie einen wichtigen Partner im Rücken: Die Permagold-Genossenschaft in Dresden mit mehr als 300 Mitgliedern, die an der Nebelschützer
Firma beteiligt ist. Sie sammelt Gelder ein, um sich an Permakultur-Betrieben zu beteiligen. Nebelschütz ist ihr erstes Projekt und Thomas Noack sitzt im Beirat. Gemeinsam wollen sie eine ökologische Agrarwende gestalten, mit Beteiligung möglichst vieler Bürger:innen. Dazu bieten sie Workshops, Seminare und Veranstaltungen an. Und irgendwann, sagt Noack, soll ein ganzes Ausbildungszentrum entstehen. Doch Permakultur brauche eben auch: Geduld.
Wangeliner Wissen
Die Geschichte des blühenden Kleinods Wangelin unweit des Plauer Sees beginnt auf einem russischen Schießplatz. Zur Zeit der Wende kämpft eine Gruppe Enthusiasten um den Aktivisten Klaus Hirrich für die Schließung der militärischen Hinterlassenschaft – und hat Erfolg. Der Schießplatz wird bereits im Herbst 1990 geschlossen und unter Naturschutz gestellt. Das Marienfließ ist heute ein Habitat von europäischem Rang. „Aus dem Sieg unseres Bürgerwillens haben wir viel Kraft geschöpft“, erzählt Hirrich, ein gelernter Schlosser, der 1986 aus Dresden nach Wangelin zog. „Wir wollten den Beweis antreten, dass durch gemeinsames Engagement ein nachhaltiges Leben machbar ist.“ Tatsächlich ist Wangelin heute ein ökologisch umgestalteter, lebendiger Vorzeigeort für naturnahe ländliche Entwicklung.
Allein die Pflanzung von fast 60.000 Bäumen und Sträuchern hat der Landschaft binnen 30 Jahren ein neues Gesicht verliehen. Der Wangeliner Garten ist mit seinen 900 Arten der größte Kräutergarten Mecklenburgs und eine Blumenoase voll heilender Düfte und Pflanzen. Als touristisches Highlight der Region vermittelt er umfangreiches Wissen über ökologische Gartengestaltung und die Geschichte der Kulturpflanzen – es ist ein summendes Refugium für zahllose Insekten und Tierarten, die es anderswo nicht gibt. Durch den Einsatz von Permakultur und Terra preta dient der Garten zugleich als Musterbeispiel für eine nachhaltige Behandlung des Bodens. „Ohne guten Boden“, lautet Hirrichs Mantra, „verändert sich nichts.“
„Lehm ist ein energiearmer, günstiger Baustoff“: In Wangelin gibt es neben Seminaren, Führungen und Kräuterwanderung auch wertvolles Wissen für Lehmbau.
Das gilt ebenso für den Hausbau mit dem Grundstoff Lehm: Mit ihrer europäischen Bildungsstätte für Lehmbau vermitteln die Wangeliner in Workshops umfangreiches Wissen an Handwerker, Bauleute und Laien aus ganz Europa. Sie sanieren einstmals verfallene Häuser und errichten gemeinsam neue Gebäude aus Grubenlehm, die das Leben im Ort bereichern. „Lehm ist ein energiearmer, günstiger Baustoff, der leicht gewonnen und mit Stroh und Holz in wunderbare Häuser verwandelt werden kann“, sagt Hirrich.
Mit seinen vielseitigen Projekten ist das 90-Einwohner-Dorf inzwischen ein ausgezeichneter Lernort für nachhaltige Entwicklung und tiefe Kenntnisse über die Natur, die in Seminaren, Führungen und Kräuterwanderungen weitergegeben werden. Ein Hotel, ein Café im Kräutergarten und ein Hofladen sorgen dabei für den wirtschaftlichen Erhalt der Unternehmungen. Sie sind der Nachhaltigkeit verpflichtet und Arbeitgeber für mehr als 20 Menschen der Region. „Es möchten sogar noch viel mehr Menschen zu uns ziehen“, erzählt Hirrich. „Aber jede Fläche ist zurzeit ausgelastet. Wir haben gar nicht mehr genug Räume.“ Erst ein neuer, anvisierter Bauplatz könnte in Zukunft für neues Wachstum sorgen.